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Wirbel um 1. August-Rede

Fahnenschwinger in Aktion an einer 1. August-Feier auf der Stadthausanlage in Zürich. Keystone Archive

Vor 50 Jahren, am Bundesfeiertag 1952, hat der Historiker Marcel Beck mit seiner in Zürich gehaltenen Rede eine Debatte ausgelöst, die bald alle Dimensionen sprengte.

Dieser Inhalt wurde am 31. Juli 2002 publiziert

Offizielle Reden zum 1.August gehören gewissermassen zur Pflichtübung der Prominenz unseres Landes. Viele der Ansprachen folgen ungeschriebenen Gesetzen. Es wird Rückschau gehalten und das Schöne und Gute gepriesen. Kritik wäre, so sagt man, an diesem Tage fehl am Platz. Und wenn schon, dann milde und vorsichtig, wie es bei uns üblich ist.

Dunkle Mächte

Gegen diese Richtlinien wollte am 1.August 1952 Prof. Marcel Beck verstossen. Er war seit kurzem Ordinarius für Mittelalterliche Geschichte an der Universität Zürich und plante, in seiner Rede in den Zürcher Stadthausanlagen die Schweizer zu ermahnen, über ihre Neutralitätspolitik nachzudenken und Alternativen in Erwägung zu ziehen.

Prof. Beck kam aber gar nicht dazu, diese Gedanken auszusprechen. Wie üblich hatte er seine Rede der Presse vor der Feier zugeschickt. Die Redaktoren der Neuen Zürcher Zeitung fanden den Appell unpassend und intervenierten beim Erziehungsdirektor. Dieser bat Beck, den Passus auszulassen.

Der Professor versprach das, und hielt sich daran. Doch am Schluss seiner Rede warnte er vor den Gefahren einer autoritären Demokratie. "Es gibt dunkle Mächte in diesem Land", sagte er, "mögen sie Kartelle, Verbände, Gewerkschaften oder Redaktion der 'Neuen Zürcher Zeitung' heissen."

Hin und Her zu nicht gehaltener Rede

Das Echo auf diesen letzten Satz war enorm. Beck hatte bewusst pointiert formuliert und damit mitgeholfen, das drohende Sommerloch mit seinen Anspielungen zu überbrücken. Die anderen Zeitungen griffen das Thema lustvoll auf. Eine kontroverse Debatte begann, die bis in den Spätherbst hinein andauerte und noch Ende November 1952 zu einer Auseinandersetzung im Kantonsrat führte.

Die NZZ und andere Blätter wurden mit Zuschriften und Leserbriefen über-schwemmt. Immer mehr nahm die Auseinandersetzung zum Teil groteske Züge an, vor allem weil über eine Rede geurteilt wurde, die gar nicht gehalten worden war.

Die Gegner der Ausführungen Becks verwiesen auf das Echo, das der ursprüngliche Redetext weit herum ausgelöst und die Behörden zu Richtigstellungen gezwungen hätte. Die Befürworter Becks argumentierten mit der Redefreiheit, die auch für einen Ordinarius der Universität gelte. Auch ihm könne man das Maul nicht verbieten.

Und die Vorwürfe, weshalb man nicht direkt bei Prof. Beck interveniert habe, sondern beim Erziehungsdirektor, wies die NZZ zurück mit der Behauptung, bei der bekannten fehlenden Einsicht des Professors sei eine Debatte mit ihm als wenig nützlich betrachtet worden.

Erfolge und Misserfolge

Der wahre Gewinner in dieser Auseinandersetzung war zunächst Prof. Beck. Mit einem Schlage war er - zumindest im Kanton Zürich - zu einer bekannten Persönlichkeit geworden. Er nutzte die Stunde und schloss sich der Demokratischen Partei an, die damals noch über eine respektable Anhängerschaft verfügte.

Deren Parteiorgan, der in Winterthur erscheinende 'Landbote', hatte den ebenfalls in Winterthur wohnenden Professor immer kräftig unterstützt. So gelang Beck der Sprung in die Politik. Er wurde 1955 in den Kantonsrat gewählt, wo er mit seinen angriffigen Voten, wie die NZZ später schrieb, "Leben in die Bude" gebracht habe. Schliesslich wählten die Demokraten ihn sogar zum Präsidenten ihrer Kantonalpartei.

Bunter Vogel

Aber nach ein paar Jahren geriet Beck in Konflikt auch mit seiner eigenen Partei. Er trat als Präsident zurück. Doch rutschte er 1964 bei einer Vakanz in den Nationalrat nach und agierte nun als Parteiloser auf hoffnungslosem Posten in Bern.

Die Mitkollegen des Rates betrachteten ihn als Unikum oder "bunten Vogel", der jeweils bei Bundesratswahlen das Prozedere zerpflückte und dafür immer wieder Geschrei und Pultdeckelgeklapper erntete. 1967 verschwand er bei den Neuwahlen endgültig von der politischen Bühne.

Treue Anhängerschaft

Die Verdienste von Marcel Beck liegen nicht in seinem politischen Engagement und auch nur bedingt in seinen wissenschaftlichen Publikationen. Aber er war ein Lehrer, der die Studenten zu begeistern und mitzureissen verstand. So schuf er sich unter seinen Schülern eine treue Anhängerschaft, die später zum Teil in wichtige Positionen nachrückte und das Credo ihres Lehrers weiter trug.

Über den Auslöser der ganzen Affäre, die Rede vom 1.August 1952 hat Marcel Beck noch lange nach seiner Emeritierung geschmunzelt. Die wütenden Attacken seiner Gegner haben ihr Ziel verfehlt. Ungewollt haben sie dem Professor auf der politischen Bühne ein neues Podium eröffnet, das er in seiner Art weidlich zu nützen verstand.

Umgekehrt zeigte Beck sich aber auch lernfähig. In der Neutralitätsfrage, so sagte er 1983, würde er sich heute nicht mehr so ereifern wie damals, weil er nichts Besseres sehe. Er glaube heute auch nicht mehr an Wendepunkte in der Geschichte, sondern an den langsamen Fluss des Geschehens, in welchem der einzelne die Geschichte nicht wesentlich beeinflussen könne.

Alfred Cattani (Neue Zürcher Zeitung vom 30. Juli 2002)

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