Weshalb nicht in Genf?
Neutralität scheint kein wichtiger Standortfaktor mehr zu sein: Bonn und nicht Genf erhielt den Zuschlag für die Afghanistan-Konferenz.
Beim Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) gibt man sich darüber enttäuscht. Es zeige aber zumindest in diesem Fall, dass die These nicht stimme, wonach die Welt ein Land brauche, dass vollständig unabhängig und neutral ausserhalb internationaler Organisationen stehe, sagt EDA-Informationschef Ruedi Christen.
Nicht gelten lässt er den Vorwurf, die Schweiz habe sich zu wenig um das Treffen vom kommenden Montag bemüht. "Das ist ein billiges Argument", sagt Christen.
Nicht kommentieren wollte man den Entscheid bei der UNO in Genf. Von den akkreditierten Journalisten habe sie jedoch enttäuschte Reaktionen erhalten, sagt UNO-Sprecherin Marie Heuzé. Und: "Wir wären bereit gewesen."
Tradition der "Guten Dienste"
Die Beherbergung internationaler Friedens-Konferenzen gehört zu den traditionellen "Guten Diensten" der schweizerischen Neutralitätspolitik. Seit Ende des 19. Jahrhunderts ist die neutrale Schweiz Gastgeberin internationaler Friedens-Konferenzen.
Die Tradition wurde durch die ersten Rotkreuz-Konferenzen 1863/64 begründet, an denen das IKRK gegründet und die Genfer Konvention unterzeichnet wurden. So wurde Genf zur Konferenzstadt und ab 1919 Sitz des Völkerbundes.
Laut dem UNO-Beobachter der Schweiz in New York, Jenö Staehelin, muss es "zu denken geben, dass Genf für UNO-Konferenzen nicht mehr automatisch zum Zug kommt". Und dies, obwohl Genf der europäische UNO-Hauptsitz sei. "Wir werden nun analysieren müssen, weshalb wir den Zuschlag nicht erhalten haben", sagte Staehelin in einem Interview mit der "Weltwoche".
Nicht mehr prädestiniert
Seit dem Ende des Kalten Kriegs scheint Genf nicht mehr als Konferenzort prädestiniert. Noch in den 80er-Jahren fanden zahlreiche Gespräche statt. 1985 trafen sich Reagan und Gorbatschow in Genf zu ihrer Gipfelkonferenz über nukleare Abrüstung.
1986-88 tagten in Genf die Afghanistan-Verhandlungen, die am 14.4.1988 mit der Unterzeichnung eines Abkommens zum Rückzug der sowjetischen Streitkräfte zu Ende gingen. 1988 kam es zu direkten Friedensgesprächen zwischen Iran und Irak. Und 1988/89 fanden Verhandlungen zwischen Südafrika, Kuba und Angola statt über einen kubanischen Truppenrückzug aus Angola und eine Unabhängigkeit von Namibia.
Genf sei zwar als Konferenzort und als Stadt immer noch sehr beliebt, sagt Laurent Goetschel, Politologe an den Universitäten Bern und Basel. Mit dem Ende des Kalten Kriegs habe der marginale Nutzen, der aus der Neutralität resultiere, jedoch tendenziell abgenommen.
Haltung Deutschlands ausschlaggebend
Im Fall der Afghanistan-Konferenz vom Montag hätten politische Kräfte aus Afghanistan eine gewichtige Rolle gespielt - von Deutschland werde ein entscheidender Beitrag beim Wiederaufbau erwartet.
Auch laut Staehelin war die Haltung der afghanischen Parteien für die Wahl von Bonn "wohl entscheidend". Deutschland sei in diesem Konflikt von Anfang an sehr dezidiert aufgetreten.
Die Schweiz hätte zudem als UNO-Mitglied "sicher die besseren Chancen gehabt, sich durchzusetzen", wird Staehelin weiter zitiert. Auch laut Goetschel hat "die UNO-Frage eine Rolle gespielt". Es sei jedoch schwer zu sagen, ob sie hier ausschlaggebend war.
swissinfo und Agenturen

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