Top-Management in der Krise
Die SAirGroup schockiert mit einem Rekordverlust von 2,7 Mrd. Franken. Die Privatbank Vontobel verliert mit der Internetbank YOU rund 250 Mio. Franken. Und der Industriekonzern Sulzer ringt um eine neue Strategie. Schuld an der Krise ist nicht zuletzt die ungenügende Trennung von Führung und Kontrolle in der Schweizer Wirtschaft.
Während des wochenlangen Trauerspiels um die Offenlegung des SAir-Debakels konzentrierte sich das Interesse der Öffentlichkeit zunehmend auf die Rolle des Verwaltungsrates und der offenbar fehlenden "Checks and Balances" in der Konzernleitung.
Doch mit Führungs-Problemen haben weltweit viele Unternehmen zu kämpfen. Bei der SAir wie auch bei Sulzer kommt jedoch erschwerend hinzu, dass es sich um Schweizer Unternehmen handelt.
Mangelnde Kritikfähigkeit
Die Professorin Gertrud Höhler, Verwaltungsrätin bei der Georg Fischer AG, wies an einem vom Wirtschaftsmagazin "Bilanz" organisierten Podium darauf hin, das in Verwaltungsräten oft ein eigentlicher Kollegialitäts-Zwang herrsche. Niemand wage es, zu widersprechen.
Gerade im Zusammenhang mit Fusionen und Übernahmen seien Manager in einem eigentlichen Grössenrausch, so Höhler. Dabei sei nicht einmal klar, ob mit den gegenwärtigen Management-Techniken die durch zahlreiche Fusionen entstandenen Riesengebilde überhaupt geführt werden können.
Auch Elmar Wiederin, Direktor der Boston Consultant Group, beklagte die mangelnde Kritikfähigkeit des Managements. Insbesondere bei globalen Konzernen gebe es grosse Führungsprobleme.
Der "Filz"
Ein schweizerische Besonderheit indes ist der "Filz": Grosse Schweizer Unternehmen pflegen sich gegenseitig Posten im Verwaltungsrat zuzuschanzen und auch die Beziehungen zur Politik werden gepflegt. So ist etwa die FDP-Ständerätin Vreni Spoerry nicht nur im Verwaltungsrat der SAirGroup, sondern auch bei Nestlé und der CS. Umgekehrt sitzt im Verwaltungsrat der SAirGroup CS-Chef Lukas Mühlemann.
Auch der neue VR-Präsident der SAirGroup, Mario Corti, ist selbstredend gut vernetzt. Zu seinen engen Freunden zählt Nestlé-Präsident Rainer E. Gut. Zusammen sitzen sie auch im internationalen Beirat der CS.
Problematisch wird es, wenn ehemalige Konzernchefs im Verwaltungsrat sitzen und so die eigenen Fehler vertuschen können. Einige Unternehmen vereinigen gar die Funktion von Verwaltungsrats-Präsident und CEO. Dies führt dazu, dass sich das Management selbst kontrolliert.
Verwaltungsrat im Wandel
Die meisten Verwaltungsräte wurden in der Schweiz bislang kooptiert, das heisst, die Bisherigen laden bewährte Bekannte ein, neben ihnen Platz zu nehmen. Dies beginnt sich nun aber zu ändern: Unter dem Druck der Globalisierung wie auch der Aktionäre findet inzwischen ein Professionalisierung der Verwaltungsräte statt.
Peter Arbenz, laut NZZ der "Troubleshooter der Nation", bestätigte am Bilanz-Podium diese Entwicklung. Heute würden an Verwaltungsrats-Sitzungen die Späne fliegen. Die Zeit, wo alle nur nickend am Tisch sitzen, sei vorbei.
Die Professionalisierung der Verwaltungsräte mag für die Wirtschaft positiv sein. Für viele Politikerinnen und Politiker bedeutet sie allerdings der Verlust eines einträglichen Nebenamtes. Denn Verwaltungsrats-Mandate sind lukrativ: ein Mandat bei Nestlé bringt pro Jahr 262'000 Franken, ein solches bei der CS immer noch rund 180'000 Franken.
Hansjörg Bolliger

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