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Sinkende Hoffnung, verbissener Einsatz

Todmüde, mit irrem Blick schwankt Aniello Pellol durch die New Yorker Trümmerlandschaft. Schweiss steht ihm auf der Stirn nach einem 15-stündigen Dauereinsatz in den Ruinen des World Trade Centers.

Dieser Inhalt wurde am 18. September 2001 publiziert

Eine Woche nach der Katastrophe wollen noch immer Tausende das Unmögliche schaffen - einen Überlebenden bergen aus dieser Szenerie eines Weltuntergangs. Sie zerren Trümmer beiseite, wühlen, graben.

Sie wollen nicht wahrhaben, was Bürgermeister Rudolph Giuliani ihnen in deutlichen Worten klarzumachen versucht: Dass für Tausende Angehörige, Freunde und Unbekannte keine Hoffnung mehr ist. Seit Tagen wurde niemand mehr lebend aus den Trümmern geholt.

Im Kopf eingebrannt

«Mit einem Schneidbrenner habe ich die ganze Nacht Stahl zerlegt», sagt Pellol. «Da drin ist alles verbogen, zerquetscht, zertrümmert, schlimmer als in einem Horrorfilm.»

Der 43-jährige Schweisser aus New Jersey hat sich geschworen, dass er von diesem Erlebnis nur die Bilder der eigenen Erinnerung behalten will. «Das ist in meinen Kopf eingebrannt, ich will keine weiteren Bilder mehr sehen.»

290'000 Tonnen Trümmer

Um irgendwelche Hohlräume aufzuspüren, in denen sich wie durch ein Wunder noch Überlebende befinden könnten, müssen künstliche Tunnel in die Stahl- und Betonschichten getrieben werden. Hier waren unvorstellbare Kräfte am Werk, als die Twin Towers zusammenbrachen. Jeder der beiden Türme wog 290'000 Tonnen.

Die Einsatzleitung liegt bei der New Yorker Feuerwehr. Ihr Blutzoll in dem Inferno steht allen Helfern vor Augen - unter den Trümmern sind 300 Feurwehrleute begraben, die nach dem Terrorangriff den Zehntausenden in den Türmen zu Hilfe eilten.

Kranführer, Schweisser, Maurer, Polizisten arbeiten seit Tagen Hand in Hand. Sie legen grosse Trümmerstücke frei, die dann mit Maschineneinsatz weggehoben werden können. Andere bilden Ketten, schaffen in Eimern Schutt beiseite.

Durch das Gewühl kämpft sich auch Heather Mothstein mit ihrem Rottweiler Nala. «Die Feuerwehrleute sagen mir, wo ich suchen soll», erklärt die junge New Yorkerin, eine der wenigen Frauen in diesem Trümmerfeld. «Aber ich verlasse mich mehr auf Nala.» Die Hündin ist für solche Einsätze ausgebildet.

Wundergeschichten putschen auf

In den Trümmerbergen wirken die Helfer mit ihren Hunden wie eine Ameisenkolonne auf einem überdimensionalen Ameisenhaufen. Aus dem Gewimmel ragen einige Dutzend Baukräne in die Luft. Niemand kann hier untätig bleiben. Wer die Kraft verliert, wird mit Geschichten über Wunder aufgeputscht - von Verschütteten zum Beispiel, die nach Erdbeben zehn Tage überlebten.

«Wir geben die Hoffnung nicht auf, bevor nicht der letzte Block beiseite geräumt ist», versichert der Hundeführer Michael Glass. «Man darf den Überlebenswillen nicht unterschätzen.»

Profis übernehmen

Die Einsatzmöglichkeiten der Freiwilligen sind geschmolzen, auch wenn sie täglich wieder zu den Trümmerbergen drängen, wie von fremder Hand gesteuert. Mit der Zeit haben die Profis das Terrain erobert. Die Nationalgarde hat Absperrungen errichtet, an denen sie die berechtigten und die unberechtigten Trümmerarbeiter sortiert.

«Sie wollen uns nicht mehr vorlassen», ereifert sich Robert Watson. «Aber die Feuerwehrleute brauchen uns doch!» Da kommt ein Feuerwehrteam des Wegs. Watson kennt die Leute, erklärt ihnen den Streit mit den Nationalgardisten.

Einer der Feuerwehrleute hält ihm eine Dienstuniform mit offiziellem Abzeichen hin, völlig verstaubt. «Da, streif die über», sagt er noch. Dann zieht der ganze Trupp an den Wachleuten vorüber, auch Watson. Die Leute vom Wachtrupp drücken beide Augen zu.

swissinfo und Michel Moutot (sda/afp)

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