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Schweizer in einem chilenischen Bergwerk

Die Gäste aus Sainte-Croix 500 mitten im Stollen. Regula Ochsenbein

Eine Woche nach der spektakulären Rettung von 33 Kumpeln aus einer chilenischen Mine wagte sich eine Gruppe Schweizer Touristen in ein kleines Bergwerk. Unter der Führung eines Minenexperten besuchte sie ein Kupfervorkommen im Bergtal Cajón de Maipo.

Dieser Inhalt wurde am 21. Oktober 2010 publiziert Minuten
Regula Ochsenbein, Mina El Volcán, Chile, swissinfo.ch

Experte und Kumpel Francisco Astorga bearbeitet das von ihm entdeckte Mineralvorkommen selbst mit wenig Arbeitern und Technologie. Auf Schubkarren mit einer Tonne Ladekapazität wird das Gestein von Hand aus dem Stollen gezogen und zur weiteren Verarbeitung auf gemietete Lastwagen verladen.

Sein Bergwerk ist Teil des bis anfangs des 20. Jahrhunderts wichtigsten Kupfer- und Silbervorkommens El Volcán in der Nähe Santiagos. Nach einem Erdbeben von 1958, welches Stollen verschüttete und die Siedlung für über 1000 Arbeiter grösstenteils zerstörte, begann der Niedergang. Ein mittelgrosses Unternehmen baut heute nur noch Gips ab.

"Das Gold der Tölpel"

Am Stolleneingang hat Francisco Astorga Gesteinsmuster zum Mitnehmen bereit gelegt. Es sind vorwiegend Kupfersulfate und Kupferoxide.

"Bitte versucht nicht, im Stollen Gestein von den Wänden zu lösen . Grössere Brocken könnten sonst auf uns fallen", sagt er vor der Minenbesichtigung zu den Gästen, die aus dem waadtländischen Jura-Dorf Sainte-Croix nach Chile gereist sind: "Was im Licht der Taschenlampe für Euch Laien wie Gold glänzt, ist sowieso nur Schwefelkies. Wir nennen es das Gold der Tölpel!"

Mit dem gesetzlich vorgeschriebenen Schutzhelm und Taschenlampen ausgerüstet geht es vorerst 50 Meter in den knapp mannshohen und kaum 2 Meter breiten Stollen. Hier können alle entscheiden, ob sie weitergehen oder am Stolleneingang warten wollen. Das Risiko von Panik-Krisen weiter unter dem Berg will der Bergbauexperte nicht auf sich nehmen.

Niemandem wird es ungemütlich. Doch mehrere der von weit hergereisten Amateur-Kumpel geben zu, dass sie nicht hunderte in den Fels gemeisselte Treppenstufen hinunterklettern würden. – Die Mine hat tatsächlich einen solchen zweiten Eingang.

Sich eingeschlossen fühlen

500 m dringen die Schweizer in einen der Stollen vor, der einer Kupferader folgt. Das ruft Gedanken an die "echten" 33 Kumpel wach, die noch tiefer unter der Erde 70 Tage lang eingesperrt waren, bis sie vor einer Woche befreit werden konnten.

Von den Wänden tropft Wasser, und es erscheinen noch nicht ausgebeutete Kupferadern. Sie wirken wie abstrakte Gemälde: "In diesem engen und niedrigen Stollen hier unten können wir uns ausmalen, was diese Arbeiter bis zu ihrer Rettung durchgestanden haben", sagt Anne Hartbeiner.

Und Joseline Hasel meint: "Kein Schweizer hätte das überlebt. Wir sind zu sehr an ein bequemes Leben gewöhnt und hätten nie die Durchhaltekraft eines chilenischen Bergarbeiters. In einer ähnlichen Lage und in einem Anfall von Hüttenkoller würden wir vielleicht sogar aufeinander losgehen!"

Nach einem halben Kilometer müssen die Schweizer Kumpel umkehren, weil der Stollen von hier weg noch nicht abgesichert ist. Doch vorher fordert Francisco Astorga seine Gäste auf, alle Taschenlampen auszulöschen. Während einer langen Minute herrschen absolutes Dunkel und absolute Stille – fast wie nach dem Stolleneinbruch im Norden, aber ohne Staubwolke.

Akustik wie in einer Kirche

Auf dem Rückweg stimmen die Touristen aus Sainte-Croix spontan einen Kanon aus der Heimat an: "Frère Jacques, frère Jacques, dormez-vous…". Ob sie im Dunkeln Angst bekommen haben?

"Nein, wir singen gern und tun es, wenn wir Lust haben", sagt Allan Eisler. Mit seinem Bart und Schutzhelm könnte man ihn mit einem chilenischen Kumpel verwechseln. Und Joseline Fasel meint enthusiastisch: "Hier unten ist die Akustik so fantastisch wie in einer Kirche."

Gotthardtunnel

Mit dem Grubenunglück in Chile wurde auch den Schweizern bewusst, in welch prekären Verhältnissen hier viele Kumpel arbeiten. Modernste Technologie, die auch beim Bau des neuen Gotthardtunnels verwendet wurde, führten zu einem glücklichen Ende.

Ester Stahel meint dazu: "In der Schule hat man uns nur erzählt, dass ein Herr Favre den Durchstich des ersten Tunnels vollbracht hatte, nicht aber wie viele italienische Arbeiter beim Bau ums Leben kamen und wie unmenschlich die Arbeitsbedingungen Ende des 19. Jahrhunderts waren.

Rettungskapsel Fenix als Touristenattraktion

Die Rettungskapsel Fenix steht nun zur Besichtigung vor dem Regierungspalast in Santiago, wo sich später auch die Hobby-Kumpel aus der Schweiz hätten fotografieren lassen können. "In Kürze wird sie wohl als Andenken im Kleinformat im Souvenirgeschäft erhältlich sein," meint Allan Eisler belustigt.

Cajón de Maipo - Sainte-Croix

Im vergangenen Jahr nahm eine Gruppe von Chilenen aus dem Bergtal Cajón de Maipo am "Festival des Gens des Hauts-Pays" in Sainte-Croix teil und wohnte bei Gastfamilien.

Die Schweizer wurden zum Gegenbesuch eingeladen und sind bei ihren ehemaligen Gästen untergebracht.

Zum Besuchsprogramm gehörte die Besichtigung eines kleinen Bergwerks im Tal unter der Führung des Bergbauexperten Franzisco Astorga, der im letzten Jahr selber auch am Festival in Sainte-Croix teilgenommen hatte.

Am meisten interessiert die Chilenen die Förderung des Tourismus auch aus der Schweiz und der Austausch auf dem Gebiet des Erziehungs- und Ausbildungswesens.

Die Gäste aus Sainte-Croix waren dabei, als die Schweizer Botschafterin Yvonne Baumann den Grundstein für ein von der Botschaft finanziertes Zentrum für behinderte Kinder legte. Zusätzlich zum normalen Schulunterricht sollen diese Kinder ab dem kommenden Jahr hier Hilfsstunden bekommen.

Den Gästen aus Sainte-Croix fiel ein in der Schweiz nicht mehr vorhandener Patriotismus der Chilenen auf und dass auch Kindergärtler den Nationaltanz perfekt beherrschen.

Die Chilenen amüsierten sich, dass die für sie etwas sturen Schweizer nun hier plötzlich unpünktlich sind und auftauen.

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