Schweizer Bauern steigen auf Barrikaden
Zehntausend Schweizer Bauern haben sich in Bern zu einer Demonstration gegen eine Verschlechterung der Bedingungen in der Landwirtschaft versammelt.
Der Protest richtet sich gegen Preissenkungen, Subventions-Kürzungen und den Abbau von Handelsschranken.
Schon vor drei Jahren hatten die Bauern in der ganzen Schweiz demonstriert: Damals gegen das agrarpolitische Reformprogramm 2007. Sie befürchteten, dass es innerhalb von zehn Jahren zur Schliessung eines Fünftels aller Bauernbetriebe führen würde.
In schlechter Erinnerung bleibt aber vor allem die Bauerndemonstration vor neun Jahren, in deren Verlauf es vor dem Bundeshaus zu wüsten Ausschreitungen gekommen war. Schon damals war die bundesrätliche Agrarpolitik der Grund für den Zorn der Bauern. Die Polizei hatte damals die Lage nur mit Einsatz von Tränengas, Gummigeschossen und grossen Absperrgittern unter Kontrolle bringen können.
Am Donnerstag nun riefen die Bauern erneut zu einer Kundgebung auf. Im Visier stehen dieses Mal die Agrarpolitik 2011 des Bundes, die bevorstehenden Verhandlungen der Welthandels-Organisation (WTO) und das geplante Freihandels-Abkommen mit den USA. Die zehntausend Landwirte, die nach Bern kamen, machten in den Gassen Berns mit lautem Treicheln auf ihre Anliegen aufmerksam. Ihr Umzug vom Bärengraben vor das Bundeshaus verlief aber jederzeit friedlich.
"400'000 Schweizer sind von der Agrarpolitik 2011 betroffen – sowohl die Bauern wie auch die Lebensmittelindustrie", erklärte SBV-Direktor Jacques Bourgeois gegenüber swissinfo. Daher laute das Motto der Kundgebung: "Heute die Bauern, morgen du!"
Einkünfte sichern
Die Agrarpolitik 2011 dürfte den Bauern laut dem SBV Mindereinkünfte von über 20% bescheren. Einer der Gründe sei, dass der Bund sein Agrarbudget für 2008 bis 2011 um 600 Mio. auf 13,5 Mrd. Franken gekürzt hat.
Die Lage sei bereits heute sehr angespannt. Weitere Preissenkungen, wie sie die Agrarpolitik 2011 und ein Abbau des Grenzschutzes mit sich bringen würden, seien für die Schweizer Landwirtschaft nicht tragbar. Es dürfe nicht sein, dass in der Schweiz nur noch Dienstleistungsbetriebe eine Zukunft hätten.
"Wir fordern nicht nur die Erhaltung des Rahmenkredits, sondern auch dessen Anpassung an die Teuerung", so Bourgeois. Die Bauern leisteten neben der Produktion von hochwertigen Nahrungsmitteln auch andere Dienste für die Schweiz.
So würden sie zum Erhalt der Landschaft beitragen. Direktzahlungen und Marktstützungen seien eine legitime Abgeltung.
Schwache Massnahmen
Anderer Meinung ist der Wirtschaftsexperte Beat Kappeler. Er halte die Massnahmen der Agrarpolitik 2011 nicht für genügend, um die kleinen Betriebe zum Verschwinden zu bringen, sagt er gegenüber swissinfo.
"Man müsste die Subventionen noch stärker kürzen, damit nur die Grossbetriebe überleben und wachsen können." Die EU habe ihre landwirtschaftlichen Strukturen radikal saniert und "diese Politik trägt heute Früchte", so Kappeler weiter. Die Betriebe seien heute überlebensfähig.
Laut Kappeler handelt der SBV gegen die Interessen der Bauern. "Er hat es verpasst, kleineren und mittleren Betriebe, die aufgeben mussten, eine Strategie zu bieten." Zu lange habe er deren Überleben mit Subventionspolitik sichern wollen.
"Wir brauchen eine unabhängige und konkurrenzfähige Landwirtschaft. Dieses Ziel können wir nur erreichen, wenn die heutige Zahl der Bauernbetriebe um zwei Drittel abnimmt", so der Ökonom.
swissinfo, Raphael Donzel und Agenturen
Fakten
2005 gab es 65'000 Bauernbetriebe in der Schweiz, 1990 waren es noch 80'000.
Jeden Tag geben fünf Betriebe auf.
Das durchschnittliche Einkommen der Bauern beträgt laut der Forschungsanstalt agroscope FAT zurzeit 3300 Franken monatlich.
In Kürze
Mit der Agrarpolitik 2011 will der Bundesrat die Wettbewerbsfähigkeit in der Agrarwirtschaft stärken.
Gleichzeitig sollen die Verpflichtungen gegenüber der Welthandelsorganisation (WTO) sozialverträglich umgesetzt werden.
Bei den Verhandlungen der WTO vom 13. bis 18. Dezember in Hong Kong soll über Zollsenkungen in Milliardenhöhe und einen besseren Zugang der Entwicklungsänder zu den Märkten der WTO-Mitglieder verhandelt werden.
Knackpunkte der Verhandlungen sind die Agrarsubventionen und die Importzölle.
Die Schweiz vertritt in Hong Kong ein Verhandlungs-Mandat, das für die Bauern jährliche Einkommens-Einbussen von 1,5 bis 2,5 Mrd. Franken zur Folge hätte.

In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Diskutieren Sie mit!