Presseschau vom 29.10.2002
Christoph Marthaler darf bis 2004 in Zürich bleiben, Verwaltungsräte des Schauspielhauses treten zurück.
Die Schweizer Presse beschäftigt sich auch mit der Rentenanstalt, die nicht aus den Schlagzeilen kommt.
Dass Christoph Marthaler am Schauspielhaus in Zürich bleiben darf, wird unisono begrüsst. Zwischentöne sind jedoch hörbar.
So fragt die BERNER ZEITUNG: "Grund zum Jubeln?" Und gibt gleich die Antwort: "Nur bedingt. Beide Seiten haben vor allem ihr Gesicht gewahrt: Der Verwaltungsrat , der sich mit der Kündigung eines der angesehensten Theaterschaffenden international lächerlich gemacht hat. Marthaler, der nun beweisen kann, dass er als Theaterdirektor die in ihn gesetzten Erwartungen erfüllen kann.
Der Berner BUND stellt sich eher auf die Seite Marthalers: "Dass Zürich den genialen Theatermacher und sein europaweit gefeiertes Team aus rein wirtschaftlichen Gründen in die Wüste schicken wollte, hat mit Grund niemand so recht verstehen wollen."
Für den TAGES ANZEIGER gibt es keinen Grund zum Jubeln: "Nur kein Triumphgeheul jetzt. Die Rücknahme von Christoph Marthalers Entlassung war kein Kinderspiel."
Der Tagi giesst Kritik auf die künstlerische Seite: "Marthaler und sein Team haben akzeptiert, dass die Stadt Zürich kein Gold scheissender Esel ist."
Aber auch der Verwaltungsrat kommt nicht ungeschoren davon: "Kein Wort verloren die Herren Verwaltungsräte über die Kunst, über die ungewöhnlichen Aufführungen, die Marthaler in Zürich ermöglichte, über die wunderbaren Schauspieler, die er mitbrachte. Nur Zahlen, Zahlen, Zahlen."
Die NEUE LUZERNER ZEITUNG titelt: "Kunst lässt sich nicht domestizieren, den Tiger gilt es nicht zu bändigen, sondern ihm zu seinem Tigersein zu verhelfen. Marthaler macht leidenschaftliches Theater. Vom Verwaltungsrat wäre ein ebenso leidenschaftliches Engagement für dieses Theater zu erwarten."
Zwielichtige Geschäfte
Die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG schreibt von den sonderbaren Geschäften der Rentenanstalt Manager:
"Eine Woche nach dem Eingeständnis, innert kurzer Zeit einen zweiten kapitalen Rechnungsfehler begangen zu haben, hat der Lebensversicherer jetzt bestätigt, vor drei Jahren eine Investmentgesellschaft gegründet zu haben mit dem Zweck, Mitgliedern der Konzernleitung eine Möglichkeit für private Anlage auf eigenes Risiko zu bieten."
Die AARGAUER ZEITUNG fragt: "Wirklich kein Erklärungsbedarf?" Sie befürchtet weiter: "Vor der Kapitalerhöhung könnten ihre Eigenmittel durch das Engagement in der Risikokapitalfinanzierung weiter unter Druck kommen."
Auch der Tagi stellt bohrende Fragen: "Weshalb war die Long Term Strategy gegründet worden? Und warum hat sie die Rentenanstalt danach ans eigene Management verkauft, nur um sie später wieder zurückzukaufen?"
Obwohl von der Rentenanstalt kategorisch bestritten, sieht der Tagi durchaus ein Schadenspotential für den Konzern: "Die Anlageexperten haben einen grossen Anreiz, die besten Anlagen der Long Term Strategy zuzuschanzen, damit ihre Chefs zufrieden waren. Dadurch verschenkten sie Chancen für die Rentenanstalt selbst."
swissinfo, Etienne Strebel

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