Presseschau vom 23.08.2003
Für einhelliges Kopfschütteln sorgt das Vorgehen Berns gegen den Flugplatz Lugano. Die Kommentatoren finden es mehr als verständlich, dass der Tessin das faktische Startverbot nicht hinnehmen will.
Unter Beschuss kommt auch die verfahrene US-Strategie in Irak.
Dem Tessin bleibe wirklich nichts erspart, schreibt die BERNER ZEITUNG, BZ, zu den neuen Anflugbestimmungen des Bundesamts für Zivilluftfahrt (BAZL). Und die in Bern gesetzten Prioritäten seien mehr als seltsam:
"Weshalb werden die neuen Bestimmungen gerade jetzt eingeführt, nachdem Swiss ihr Abbauszenario bekannt gegeben hat und just im Tessin neue Fluggesellschaften abheben wollen?"
In 20 Jahren sei in Lugano auf Grund des Instrumenten-Anflugs kein einziger Unfall geschehen, während diesen Sommer bei Unfällen von Schweizer Privatflugzeugen gegen 30 Menschen ums Leben gekommen seien, doch auf eine Reaktion des BAZL warte man bis heute vergebens:
"Dafür verhindert man im Tessin den funktionierenden Luftverkehr"
folgert die BZ boshaft.
Safety first, Lugano zuletzt
Es habe schon den Charakter einer Groteske, kommentiert die BASLER ZEITUNG: Neun Jahre sei die SAAB 2000 in Lugano-Agno gestartet und gelandet, insgesamt wohl etwa 30'000 Mal. Klaglos und ohne grössere Zwischenfälle. Nun gehe das plötzlich nicht mehr, nur weil das BAZL bemerkt habe, dass diverse Flugzeugtypen, die Agno anfliegen, dies eigentlich gar nicht machen dürften:
"Etwas mehr guter Wille wäre möglich gewesen. Das Bundesamt hätte beispielsweise seine guten Dienste für eine Re-Zertifizierung der Saab 2000 anbieten können – damit die Saab auch weiterhin Agno anfliegen könnte. Und das nicht nur sicher, sondern auch legal."
Warum erst jetzt eine Expertise?
Natürlich sei es unbestritten, dass Sicherheit im Flugverkehr über alles gehe, kommentiert der Zürcher TAGES-ANZEIGER. Das Anflugverfahren für Lugano-Agno erfülle die internationalen Standards – jedenfall für einen Grossteil der Maschinen – nicht, also gebe es Handlungsbedarf:
"Die Frage ist bloss wann und wie"
meint der TAGI. Die europäischen Sicherheitsnormen seien seit 1997 bekannt, und erst jetzt komme das BAZL mit einer Expertise. Umso irritierender seien die kurzen Fristen, die Bern Lugano zur Korrektur seines Landesystems setze.
Der überraschende Entscheid aus Bern stelle die Zukunft des Flugplatzes Lugano grundsätzlich in Frage, kritisiert der BUND:
"Er könnte sogar zu einer Einstellung des Linienflug-Betriebs führen."
Drastisch formuliert die Lage der BLICK:
"Flughafen Lugano – bald nur noch für Segelflieger?"
Das Blatt zitiert den verärgerten Tessiner Regierungspräsidenten Marco Borradori, der den BAZL-Entscheid als "absurd", "inakzeptabel" und als "eines Rechtsstaates unwürdig" bezeichnet hat.
"Die USA bekommen den Irak nie in den Griff"
Zu den jüngsten Bluttaten in Irak zitiert der BLICK den Nahost-Experten Peter Scholl-Latour, nach dessen Ansicht die USA verheerende Fehler gemacht haben:
"Jetzt zeigt sich richtig, was die Amerikaner in Irak angerichtet haben. Von den Terroristen, die sie dort vermuteten, haben sie keinen gefunden. Dafür haben sie jetzt Terroristen im Land, die sie nie wollten."
Die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG verweist auf einen hohen amerikanischen Geheimdienst-Beamten, der gesagt habe, es sei unklar, wie viele ausländische Terroristen in den Irak gelangt seien, zu welchen Gruppen sie gehörten und wie organisiert sie seien.
Es braucht unbedingt die UNO
Nach dem Attentat auf die UNO müssten die Dinge anders betrachtet werden, ist die Genfer Zeitung LE TEMPS überzeugt. Es sollte vorerst alles daran gesetzt werden, um die Täter zu überführen. Dann könnten die Vereinten Nationen in all ihren Funktionen in Bagdad Einzug halten:
"Car si l'ONU ne joue plus son rôle en Iraq, ell n'en aura plus au Proche-Orient."
Wenn die Weltorganisation in Irak keine Rolle mehr spiele, sei es auch aus damit im gesamten Nahen Osten. Sie hätte verloren, und wir, die sie nicht unterstützt hätten, mit ihr. Dann werde es nichts nützen, mit Steinen gegen amerikanische Botschaften zu werfen:
"Il ne servira à rien de protester en allant jeter des pierres contre les ambassades américaines."
swissinfo, Monika Lüthi

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