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Tierseuchen locken kaum jemand an die Urnen

Landesweit obligatorisch: Impfung 2008 von Kühen auf einem Freiburger Bauernhof gegen die Blauzungen-Krankheit. Keystone

Zur eidgenössischen Abstimmung über das Tierseuchengesetz liegen erste Ergebnisse vor: In den Kantonen Aargau, Nidwalden und Glarus sagten zwischen sagten 64 und 52% der Stimmenden Ja. Die Stimmbeteiligung ist sehr tief: zwischen 16 und 26%.

Dieser Inhalt wurde am 25. November 2012 publiziert Minuten
Scott Capper und Sonia Fenazzi, swissinfo.ch

Es war ganz sicher das erstaunlichste Referendum des angebrochenen Jahrtausends. Denn die Änderung des Tierseuchengesetzes (TSG) war im Parlament mit einer einzigen Gegenstimme durchgewinkt worden.

Doch eine Handvoll Bürgerinnen und Bürger – besonders Bauern und Heilpraktiker aus der Ost- und Zentralschweiz – hatte ohne irgendwelche Unterstützung von grossen Parteien oder Organisationen das Referendum gegen die Gesetzesänderung lanciert. Es war ihnen gelungen, die nötigen Unterschriften zu sammeln und die Vorlage an die Urnen zu bringen.

Die Anpassung des fast ein halbes Jahrhundert alten Gesetzes war von Vertretern des Agrarsektors gefordert worden. Sie sorgten sich um die gestiegenen Risiken der Ausbreitung von ansteckenden Krankheiten, gefördert durch intensivierten Handel und weltweite Tiertransporte, wie auch durch den Klimawandel.

Ziel der Gesetzesänderung ist, eine legale Basis zur Prävention und Bekämpfung von Tierseuchen und Zoonosen (von Tier zu Mensch und von Mensch zu Tier übertragbare Infektionskrankheiten) zu schaffen. Die Kompetenz für Massnahmen in diesen beiden Bereichen soll der Bund erhalten.

Diese Machtkonzentration passt den Gegnern der Vorlage nicht. Sie verlangen vielmehr die Einrichtung einer unabhängigen Stelle, wie dies im Kanton Zürich mit einer paritätischen Kommission gehandhabt werde, bei der auch Vertreter des Tierschutzes, aus der klassischen und komplementären Veterinärmedizin sowie Tierhalter am gleichen Tisch sitzen.

Angst vor Zwangsimpfungen

"Auch wir wollen ein neues Tierseuchengesetz, doch sollte bei diesem wirklich der Schutz der Gesundheit der Tiere im Zentrum stehen. Zudem sollten die Tierhalter bei Entscheiden mitreden dürfen, die ihnen in der vorliegenden Gesetzesvorlage einfach von Funktionären auferlegt werden können", sagt Josef Zahner, Mitglied des Referendumskomitees.

Für die Gegner ist die Änderung des TSG, wie sie vom Parlament vorgesehen ist, ein Blankoschein für die Eidgenossenschaft, um obligatorische Impfungen zu verhängen.

"Im abgeänderten Gesetz ist nirgendwo festgeschrieben, dass das Bundesamt für Veterinärwesen (BVET) sofort Impfkampagnen gegen jede Krankheit, die in Europa oder der Schweiz entdeckt wird, ergreifen kann", kontert Christian Griot, Leiter des Instituts für Viruskrankheiten und Immunprophylaxe (IVI). Dies sei lediglich eine Interpretation zwischen den Zeilen.

Tatsächlich spreche man im Text "von generellen Präventionsmassnahmen. Doch diese implizieren, dass auch Impfungen dazugehören können. Es ist im abgeänderten Gesetz offensichtlich, dass die Regierung die Möglichkeit erhält, Impfstoffe im Vorfeld zu beschaffen und Impfstoffbanken aufzubauen", sagt Thomas Grieder, Mitglied des Referendumskomitees.

Erfahrungen mit der Blauzungenkrankheit

Vielen der Bauern, die sich für das Referendum eingesetzt haben, stecken noch die Erfahrungen in den Knochen, die sie während der Krise der Blauzungenkrankheit in der Schweiz gemacht haben. Unter ihrem Vieh hatten sie damals unerklärliche Todesfälle, Verkümmerungen, Aborte, Frühgeburten oder mangelnde Milchproduktion festgestellt, die ihrer Meinung nach eine gemeinsame Quelle hatten: Die Impfkampagne gegen diese Krankheit, 2008 vom BVET erlassen und zwei Jahre danach wiederholt.

Da es aber keinen wissenschaftlichen Beweis für diese Anschuldigungen gab, wurde ein Grossteil der Bauern nicht entschädigt. Wer sich weigerte, seine Tiere impfen zu lassen, war strafrechtlich verfolgt und gebüsst worden.

"Wenn wir die Impfung nicht flächendeckend durchgesetzt und es den einzelnen Tierhaltern überlassen hätten, denke ich, wären wir die Blauzungenkrankheit nicht derart rasch wieder losgeworden", sagt Griot. "Drei Jahre, um eine ansteckende Tierkrankheit auszumerzen, sind wenig", bestätigt Nathalie Rochat, Sprecherin des BVET.

Das Bundesamt schätzt, dass durch die Impfungen der Tod von 16'000 Kühen und 24'000 Schafen verhindert werden konnte. Zahlen, die kürzlich vom Referendumskomitee angezweifelt worden sind. Dieses hat Zahlen aus Deutschland auf die Schweiz extrapoliert und kam zum Schluss, dass maximal der Tod von 379 Kühen und 2769 Schafen habe verhindert werden können.

Die Impfkampagne gegen die Blauzungenkrankheit kostete zwar 20 Millionen Franken pro Jahr. Doch diese Summe erscheine klein, wenn man die Kosten in Betracht ziehe, die ein Ausbruch der Blauzungenkrankheit hätte zur Folge haben können, so die BVET-Sprecherin.

In Holland hat der Ausbruch der Krankheit gemäss einem 2009 in den Philosophical Transactions, der "Royal Society" veröffentlichten Artikel für die Tierindustrie lediglich im Jahr 2007 zu direkten und indirekten Kosten in der Höhe von 80 Millionen Euro geführt.

Wenig Interesse im Stimmvolk

Am Sonntag dürften die meisten Stimmenden wohl den Behörden ihr Vertrauen aussprechen. Laut Claude Longchamp, Leiter des Forschungsinstituts gfs.bern, gehen etwa 25 Prozent des Elektorats immer an die Urne und stimmen meistens gemäss den Vorschlägen von Regierung und Parlament, die in diesem Fall ein Ja empfehlen.

Aufsehenerregende Überraschungen vorbehalten, zeichnet sich für die Änderung des TSG also eine breite Unterstützung ab. Dies, obwohl Longchamp aufgrund seiner Erfahrungen nur eine Stimmbeteiligung von rund 30 Prozent erwartet.

Lediglich mit einer intensiven Propaganda-Kampagne hätte es dem Referendumskomitee gelingen können, mehr Leute zu mobilisieren. Doch den Gegnern des TSG fehlten die finanziellen Mittel dazu.

Sie werden sich wohl damit zufrieden geben müssen, dass es ihnen gelungen ist, die Schweizerische Volkspartei (SVP) – die grösste Partei der Schweiz – zu überzeugen, dem Stimmvolk ein Nein zu empfehlen. Und dass sie es geschafft haben, diese Gesetzesänderung an die Urnen zu bringen, war für sich allein schon eine aussergewöhnliche Leistung.

Revision in Kürze

Mit der Änderung des Tierseuchengesetzes, im März vom Parlament gutgeheissen, soll die Eidgenossenschaft die Leitung in Prävention und Kampf gegen Tierseuchen übernehmen.

Die Landesregierung soll Bestimmungen erlassen und die Finanzierung von Präventionsmassnahmen lenken können. Sie soll eine vorübergehende Steuer für Tierhalter einführen und die Höhe der Kosten für Massnahmen sowie den Anteil der Kantone daran bestimmen können.

Zudem soll der Bund Impfstoffbanken betreiben sowie Impfstoffe gegen Tierseuchen beschaffen und diese unentgeltlich oder verbilligt abgeben können.

Schliesslich soll der Bund internationale Verträge auf dem Gebiet der Tiergesundheit abschliessen können.

Den Kantonen obliegt im revidierten Gesetz die Umsetzung der Massnahmen sowie die Arbeit von Polizei, Staatsanwaltschaft und Justiz.

Bei Verletzungen des TSG sollen die Behörden Strafanzeige einreichen dürfen. Einige Strafen sollen gegenüber dem geltenden TSG verschärft werden.

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Pro und Kontra

Für ein Ja sprechen sich aus: Bundesrat (Landesregierung), Parlament, Schweizerischer Bauernverband (SBV), Schweizer Tierschutz (STS), Gesellschaft Schweizer Tierärztinnen und Tierärzte (GST) und – mit Ausnahme der Schweizerischen Volkspartei (SVP) – alle im Eidgenössischen Parlament vertretenen Parteien. Auch wenn ihre Vertreter im Parlament den Gesetzestext gutgeheissen hatten, hat sich die Mehrheit der SVP-Delegierten auf nationaler Ebene dagegen entschieden. Trotzdem unterstützen einige kantonale Sektionen die Gesetzesrevision.

Das Nein wird neben der SVP unterstützt von: Vereinigung zum Schutz kleiner und mittlerer Bauern (VKMB), Gewerkschaft Uniterre, Verband Bio Suisse, Verein gegen Tierfabriken (VgT), Tierpartei Schweiz (TPS), Organisationen für Anhänger der Alternativmedizin und impfkritischer Personen, namentlich vom "Netzwerk Impfentscheid N.I.E." (ein Verein, der unabhängige Untersuchungen über Impfungen verlangt, besonders mit Doppelblind-Verfahren zur Auswertung der Auswirkungen von Impfstoffen).

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