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Parmalat-Schatten über der Schweiz

Parmalat ist auf die Hälfte geschrumpft, hat aber überlebt. Keystone

Während der Prozess gegen den früheren Milch-Riesen läuft, geht die "neue Parmalat" an die Börse und verlangt Schadenersatz - auch von Schweizer Banken.

Dieser Inhalt wurde am 13. Oktober 2005 - 09:05 publiziert

Der grösste Firmenbankrott in der europäischen Wirtschaftsgeschichte hat eine Reihe von juristischen Nachspielen hinterlassen. Tausende von Kleinanlegern wurden geprellt.

"Ich wollte nicht betrügen, sondern den Traum eines eigenen Imperiums verwirklichen", sagte der Gründer und Ex-Chef der Firma Parmalat, Calisto Tanzi, am Rande des Prozesses in Mailand. Er muss sich zusammen mit 18 Angestellten für den Zusammenbruch des gigantischen Lebensmittel-Multis verantworten.

Parmalat war in der Tat ein Imperium. In wenigen Jahrzehnten wuchs das kleine Unternehmen mit Sitz in Collecchio (Parma) so stark, dass es als multinationales Unternehmen in 30 Ländern vertreten war. Damit war Parmalat weltweit eines der grössten Lebensmittel-Unternehmen.

Doch das Unternehmen kränkelte. Die Geschäfte liefen schlecht. Dieser Zustand wurde aber durch ein Netz von Schein- und Briefkastenfirmen sowie mit einer waghalsigen Buchhaltung getarnt.

"Eine sichere Investition"

Doch Parmalat wurde in weiten Bevölkerungskreisen als sichere Finanzanlage betrachtet. Auch renommierte Finanzinstitute hatten die Aktie von Parmalat im Sinne einer vernünftigen, sicheren und nachhaltigen Anlage empfohlen.

Dieser Traum hörte im Dezember 2003 abrupt auf: Der Firmenbankrott förderte ein Loch von 14,5 Milliarden Euro zu Tage. Abertausende von Kleinanlegern, die an Tanzi und sein Wirtschaftswunder geglaubt hatten, wurden geprellt.

Das Unternehmen, das weltweit bis zu 36'000 Beschäftigte zählte, bricht an diesem Punkt vollkommen zusammen. Um überhaupt überleben zu können, wird die Firma im Sinne des Konkursverwalters "halbiert".

Die "neue Parmalat" konzentriert sich aufs Kerngeschäft in Italien und wenigen anderen Ländern und reduziert den Personalbestand um die Hälfte.

Milliardenschwere Vorwürfe

Parmalat hat es geschafft, seine wichtigsten Gläubiger davon zu überzeugen, einen Teil der Verluste durch neue Aktien zu ersetzen. Seit Anfang Oktober 2005 ist das Unternehmen wieder an der Börse kotiert. Doch der Weg zur vollständigen Gesundung ist noch lang.

Konkursverwalter Enrico Bondi, der den Parmalat-Konzern leitet, wirft einigen Banken vor, sie hätten Parmalat bis 2003 geholfen, die effektive finanzielle Lage des Konzerns zu verschleiern. Gegen Credit Suisse First Boston (CSFB) hat Parmalat eine Schadenersatzklage eingereicht und fordert 7,1 Mrd. Euro, von der UBS immerhin noch 2,2 Mrd. Euro.

Bei der Graubündner Kantonalbank (GKB) war anfänglich von einer Schadenersatzklage von 60 Mrd. Euro die Rede. Inzwischen hat sich die Summe auf "nur" 20 Mrd. Euro reduziert. Allerdings hat Parmalat präzisiert, keine Strafanzeige gegen die GKB erhoben zu haben.

Zurück an den Absender

Die genannten Banken weisen die Vorwürfe als "unhaltbar" an den Absender zurück. Die Graubündner Kantonalbank, die sogar von Parmalat betrieben wird, sprach von einem Versuch, die GKB zu Konzessionen zu zwingen, "indem man sie öffentlich an den Pranger stellt."

Diese Haltung teilt auch Mario Curti, Präsident des Verbands Schweizer Finanzanalysten (ASAF). "Einige Forderungen, wie diejenige bei der GKB, erscheinen mir absurd", sagt er.

"Unsere Arbeit basiert auf klaren Regeln, auch auf ethischen. Wenn ein Finanzanalyst sich irgendwelche Geschichten ausdenken würde, um Aktien einer bestimmten Firma zu verkaufen, wäre dies das Ende unseres Berufsstandes", sagt der Experte.

Experten blind vertrauen?

Die Rundumschläge und Klagen von Bondi haben dem neuen Parmalat-Konzern indes schon ermöglicht, 315 Mio. Euro einzukassieren. Mit Morgan Stanley und Nextra konnten aussergerichtliche Vereinbarungen getroffen werden.

Doch es gibt eine Kehrseite der Medaille. Einige Finanzinstitute, darunter die Bank of America, denken laut darüber nach, Parmalat mit Gegenklagen einzudecken. Die Zukunft des Konzerns könnte sich somit mehr in Gerichtssälen denn auf den Milchmärkten abspielen.

Keine Frage ist, dass die Kleinanleger in diesem Spiel die eindeutigen Verlierer sind. Sie haben alles oder fast alles verloren. Viele hatten sich auf die Meinung von Experten verlassen, weil – wie Corti sagt – Kleinanleger nicht wirklich in der Lage sind, Bilanzen von Grosskonzernen zu lesen.

Curti setzt allerdings voraus, dass die Unternehmungen korrekte Informationen über den Zustand des Geschäftsverlaufs liefern. Wird dies nicht gemacht, werden die Finanzanalysten und damit auch die Anleger getäuscht.

swissinfo, Marzio Pescia
(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)

Fakten

Beim Zusammenbruch des italienischen Lebensmittel-Konzerns Parmalat im Dezember 2003 wird ein Finanz-Loch von 14,5 Mrd. Euro entdeckt.
Zirka 135'000 Kleinanleger werden durch den Firmenkollaps geschädigt.
Bis 2003 arbeiten bei Parmalat weltweit zirka 36'000 Angestellte. Heute sind es 20'000.
2002 beträgt der Jahresumsatz 7,5 Mrd. Euro, 2004 zirka 3,68 Mrd. Euro.

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In Kürze

Der Parmalat-Skandal flog am 19. Dezember 2003 auf. Ein Konto der Gruppe mit einem angeblichen Guthaben von 4 Mrd. Euro erwies sich als Fälschung.

Die Ermittlungen der Justiz förderten in der Folge etliche Fälschungen in der Buchhaltung zu Tage; über 10 Jahre lang hatte Parmalat den Markt mit gefälschten Bilanzen getäuscht.

Am 28.September 2005 wurde in Mailand der Prozess gegen den Parmalat-Gründer Callisto Tanzi und einige seiner Mitarbeiter eröffnet.

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