Parlamentarier wollen UNO demokratisieren
In einem offenen Brief an UNO-Generalsekretär Kofi Annan fordern 108 Schweizer Abgeordnete eine parlamentarische Versammlung innerhalb der UNO.
In ihren Augen wäre eine solche Einrichtung ein wichtiger Schritt zur Demokratisierung der Vereinten Nationen.
101 Nationalratsmitglieder und sieben Ständeratsmitglieder unterschrieben den offenen Brief an Kofi Annan, wie das Komitee für eine demokratische UNO (KDUN) und die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) am Mittwoch in Bern mitteilten.
Ausser der Schweizerischen Volkspartei (SVP) haben Mitglieder aller Fraktionen den Brief unterzeichnet.
Die Vertretung der Bevölkerung bei den Vereinten Nationen und die Mitwirkung der Zivilgesellschaft würden das Vertrauen von Bürgerinnen und Bürgern in die UNO stärken, heisst es in dem Schreiben.
Akzeptanz und Legitimation der Weltorganisation würden erhöht, und die UNO sei am besten geeignet, weltweit die Demokratie zu fördern.
Parlamente heute nicht vertreten
Die Strukturen der 60-jährigen Organisation widerspiegelten die Zeit von 1945 und brauchten Reformen, erklärt der sozialdemokratische Nationalrat Remo Gysin, einer der Erstunterzeichner des Briefes. Nationale Parlamente und die Zivilgesellschaft hätten keine Mitspracherechte.
"Wir sind in einer Phase, wo der Reformbedarf der UNO anerkannt ist", sagt Gysin gegenüber swissinfo. "Das Defizit in Demokratie ist auch erkannt."
Eine parlamentarische Versammlung bei der UNO ist das Hauptanliegen des 2004 in Berlin gegründeten Komitees für eine demokratische UNO. Ihm schwebt ein 700 bis 900-köpfiges Gremium vor.
Vertreten wären alle Länder mit in der Verfassung verankerten Parlamenten. Die Kosten werden auf 150 bis 200 Mio. Franken pro Jahr geschätzt. "Gratis bekommen Sie auch bei der UNO die Demokratie nicht", so Gysin.
Schweiz mit vier bis fünf Sitzen
Die Schweiz könnte in diesem Gremium höchstens vier bis fünf Sitze besetzen, vermutete er. Diese würden voraussichtlich mit Mitgliedern des Parlaments besetzt. NGO-Vertreterinnen oder –Vertreter kämen für ihn nicht in Frage.
Nach den Vorstellungen der KDUN würde das Parlament zunächst eine beratende Funktion übernehmen. Endziel ist die Mitsprache im ganzen UNO-System. Nach dem Vorbild des Europarates könnte das Parlament auch Informations-, Beteiligungs- und Kontrollrechte erhalten.
In der Schweiz vertritt die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) das KDUN. GfbV-Geschäftsführer Hanspeter Bigler erwartet vom UNO- Parlament Mitsprachemöglichkeiten für Minderheiten und indigene Völker.
"Wir könnten uns vorstellen, dass im Rahmen dieser parlamentarischen Versammlung eine Sitzzahl für Minderheiten oder indigene Völker reserviert ist, die dann unter Umständen im Rotationsprinzip vergeben werden könnte", präzisiert er.
Keine neue Idee
Die Vision eines Weltparlaments ist nicht neu. Bereits 1913 habe diese Idee in der französischen Nationalversammlung 146 Stimmen gewonnen, berichtete Andreas Bummel, geschäftsführender Vorsitzender der KDUN. Seit dem Ende des Kalten Krieges sei der Vorschlag aktueller denn je.
Unterstützung sei bisher aus Kanada, Deutschland und aus dem Europäischen Parlament gekommen. Im Jahr 2000 habe das Millennium-Forum der Zivilgesellschaft, in dem hunderte NGO vertreten waren, das Konzept befürwortet.
Gysin betont: "Wir sind nicht alleine, wir verstärken einen generellen Trend."
Ziel sei, zu erreichen, dass das Thema auf die Traktandenliste der nächsten UNO-Generalversammlung im September gesetzt werde, sagt Bummel. Der Cardoso-Reformbericht, der sich mit der Beziehung der UNO zur Zivilgesellschaft befasst, mache in dieser Hinsicht nur halbherzige Vorschläge.
Doch der Weg zur Verwirklichung dieser Idee wird wohl lang, sehr lang, vermutet Gysin: "Bis das Modell, die Vision eines Welt-Parlaments verwirklicht ist, braucht es schon noch Jahrzehnte."
swissinfo, Etienne Strebel und Agenturen
Fakten
Vorschlag: Eine parlamentarische Versammlung bei der UNO mit 700 bis 900 Vertreterinnen und Vertretern.
Die Schweiz würde vier bis fünf Sitze erhalten.
Geschätzte Kosten: 150 bis 200 Mio. Fr. pro Jahr.
101 Nationalräte und 7 Ständeräte unterstützen die Idee.

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