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Pakistanischer Film gewinnt Goldenen Leoparden

Die pakistanische Regisseurin Sahiba Sumar nimmt den Goldenen Leoparden für ihren Film "Khamosh Pani" entgegen. Keystone

Der Hauptpreis des Filmfestivals von Locarno geht an den Film "Khamosh Pani" der pakistanischen Regisseurin Sabiha Sumar.

Dieser Inhalt wurde am 16. August 2003 publiziert Minuten

Favorit war bis zuletzt der bosnische Beitrag "Gori Vatra" von Pjer Zalica, der mit dem Silbernen Leoparden für den zweitbesten Film ausgezeichnet wurde.

"Der Film ist ein mächtiges Medium", hatte die pakistanische Regisseurin Sabiha Sumar vor der Präsentation ihres ersten Spielfilms "Khamosh Pani" ("Stilles Wasser") im Wettbewerb von Locarno erklärt. Ihr Film sei ein Statement gegen den religiösen Fundamentalismus jeglicher Couleur und dessen Auswirkungen auf das Leben der Menschen auf dem indischen Subkontinent.

Religiöse Intoleranz

Erzählt wird die Geschichte von Aisha, die 1947 bei der Teilung von Indien und Pakistan von Muslimen gefangen genommen wurde. Ihre Sikh-Wurzeln bleiben ein Geheimnis und Aisha führt ein eigentlich glückliches Leben, bis Sikh-Pilger ihre Abstammung enthüllen, worauf ihr Sohn, ein radikaler Islamist, und ihre Nachbarn sich von ihr distanzieren.

Der Film endet mit dem Selbstmord Aishas und dem Siegeszug der Fundamentalisten, der in Pakistan auf die Machtergreifung durch den Militärmachthaber Zia-ul-Haq 1979 folgt.

Hauptdarstellerin ist der indische Filmstar Kirron Kher. Der Film, der auch von der Schweizer Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) mitfinanziert wurde, ist die erste Zusammenarbeit von indischen und pakistanischen Filmemachern.

Mit der Preisverleihung an "Khamosh Pani" bleibt sich Locarno treu: Prämiert wird das dem sozialen Realismus verpflichtete, engagierte Filmschaffen.

Ethnische Intoleranz

Als Favorit gegolten hatte bis zum Schluss allerdings der nun mit dem Silbernen Leoparden für den zweitbesten Film ausgezeichnete bosnische Beitrag "Gori Vatra" (Das Feuer brennt). Ein scharfsinniger, poetischer Film voller Ironie über die vom Ausland als Bedingung für Finanzhilfe geforderte Versöhnung zwischen den verfeindeten Volksgruppen im ehemaligen Jugoslawien.

Den Silbernen Leoparden für das besten Erstlings- oder Zweitwerk ging an den Beitrag "Thirteen" der US-Amerikanerin Catherine Hasdewicke über die von Brutalität und Selbstzerstörung geprägten Pubertät eines 13-jährigen Mädchens.

Im Video-Wettbewerb ging der Goldene Leopard zu gleichen Teilen an "Cantata de las cosas solas" des Argentiniers Willi Behnisch sowie an den Schweizer Beitrag "iXième" von Pierre-Yves Borgeaud und Stéphane Blok.

Pessimistische Grundstimmung

Die Internationale Jury hatte 19 Filme aus 17 Ländern zu beurteilen. Die Qualität der Wettbewerbsfilme war wie in anderen Jahren auch extrem unterschiedlich. Alles in allem war der Wettbewerb 2003 nicht überragend gut, aber auch nicht schlechter als in früheren Jahren.

Auffallend war die pessimistische Grundstimmung vieler Wettbewerbs-Beiträge wie überhaupt der Mehrzahl der Filme, die in Locarno gezeigt wurden. Viele junge Filmemacher scheinen eher in einer Alptraumfabrik tätig zu sein als in einer Traumfabrik. Wenn der Film ein Spiegel seiner Zeit sein will, dann sind die Zeiten düster.

Deutlich spürbar war die Tendenz, Geschichten nicht mehr zu Ende zu erzählen. Viele Beiträge wie etwa der kasachische Wettbewerbs-Beitrag "Malen'kie Ljudi" blieben im Anekdotischen haften und waren schlicht belanglos. Themen und Figuren wurden aufgegriffen, um gleich wieder fallen gelassen zu werden.

Dass es auch anders geht, zeigte der österreichische Wettbewerbs-Beitrag "Böse Zellen" von Barbara Albert: Aus einem Netz von Geschichten entwickelte sich ein veritabler Sog, der die Zuschauer und Zuschauerinnen in seinen Bann zog.

Zwiespältige Piazza

Ungebrochen blieb auch dieses Jahr der Sog der Piazza. Das Publikum kam in Strömen. Rund 6000 Personen sahen sich jeweils die Abendvorführungen unter dem Sternenhimmel an. 9600 waren es gar als die britische Komödie "Calender Girls" von Nigel Cole und der hervorragende Schweizer Dokumentarfilm "Mais im Bundeshuus" von Jean-Stéphane Bron gezeigt wurden.

Die Stimmung in Locarno war ausgelassen und die gefürchteten Abendgewitter blieben trotz grosser Hitze aus. Nicht immer zu überzeugen vermochte indes das Piazza-Programm: "Die Mommie Die" des Amerikaners Mark Rucker erntete vom grundsätzlich gutmütigen Piazza-Publikum gar mehr Buhrufe als Applaus.

Gefallen hat jedoch das "Wunder von Bern" von Sönke Wortmann (ein Melodrama vor dem Hintergrund des deutschen Siegs an der Fussball-Weltmeisterschaft von 1954 in Bern). Gleiches gilt für den fast dreistündigen "Casanova" von Federico Fellini, der anlässlich seines zehnten Todestages auf der Riesenleinwand der Piazza gezeigt wurde. Bei Fellini kann die Leinwand gar nie gross genug sein.

Zu viele Filme

Insgesamt waren während den zehn Tagen des Festivals rund 440 Filme zu sehen, rund 100 mehr als noch im letzten Jahr. Darunter gab es vor allem in den Nebensektionen sehr viele sehr gute Filme, die keineswegs den Eindruck aufkommen liessen, dass das Filmjahr 2003 besonders schwach war, wie vor dem Festival immer wieder betont wurde. So zum Beispiel in der Sektion CineastInnen der Gegenwart der überragende US-Dokumentarfilm "Capturing the Friedmans" von Andrew Jarecki.

Aufgrund der Programmfülle war es jedoch schlicht nicht möglich, einen Überblick zu bewahren und viele sehenswerte Filme gingen im Angebot unter. Dies traf wohl vor allem auf die wunderbaren Sonderreihen zu wie Jazz (116 Filme), Menschenrechte (90 Filme) oder Kuba. Zudem gab es diverse Hommagen und Retrospektiven so etwa zu Dürrenmatt, Alexander J. Seiler oder Katharine Hepburn.

Ken Loach und Locarno

Eher befremdend war hingegen das Fehlen einer Retrospektive zu Ken Loach, der für sein politisch engagiertes Schaffen mit dem Ehrenleoparden ausgezeichnet wurde. Einzig "Raining Stones" aus dem Jahre 1993 wurde um Mitternacht auf der Piazza gezeigt. Damit bestand keine Möglichkeit den Gewinner des Ehrenleoparden näher kennen zu lernen.

Dies ist schade, denn Loach ist mit Locarno eng verbunden: Bereits 1973 war Loach für sein Sozialdrama "Family Life" in Locarno mit einem Preis ausgezeichnet worden. Es folgten fünf weitere Filme, die Loach in Locarno zeigen konnte, darunter "Riff Raff" (1991) und "Land and Freedom" (1995).

Überzeugende Schweizer Filme

Der Schweizer Film machte in Locarno eine gute Figur: Neben dem Wettbewerbsbeitrag "Au sud des nuages" von Jean- François Amiguet sowie den Piazza-Filmen "Mein Name ist Bach" von Dominique de Rivaz und "Mais im Bundeshuus" vermochten vor allem "Hans im Glück" von Peter Liechti, "Skinhead Attitude" von Daniel Schweizer sowie das Spielfilmdebüt von Anna Luif "Little Girl Blue" zu überzeugen.

Grenze des Wachstums erreicht



Zurück bleibt wie immer das Gefühl, viel Interessantes verpasst zu haben. Die Direktorin Irene Bignardi ist mit dem Verlauf des Festivals zufrieden und hält die Kritik an ihrer Programmierung für nicht gerechtfertigt, wie sie gegenüber swissinfo sagte.

Das Festival habe aber die Grenzen seines Wachstums erreicht. Wie Locarno 2004 aussehen wird, weiss sie noch nicht. Sie mache jetzt zuerst mal einen Monat Ferien und werde mit Interesse das Festival von Venedig verfolgen.

swissinfo, Hansjörg Bolliger, Locarno

Fakten

Locarno 2003:

190'000 Besucherinnen und Besucher (Vorjahr: 180'000)

10 Tage, 440 Filme, 840 Stunden Projektionen

Wettbewerb: 19 Filme aus 17 Ländern, 1 Film aus der Schweiz

Sondersektion Jazz: 116 Filme

Sondersektion Menschenrechte: 90

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In Kürze

Locarno 2003 – die Preise

Goldener Leopard: ""Khamosh Pani" (Silent Water) von Sabiha Sumar (Pakistan)

Silberner Leopard: "Gori Vatra" von Pjer Zalica (Bosnien-Herzegovina)

Spezialpreis der Jury (Preis für Völkerverständigung): "Maria" von Calin Netzer (Rumänien)

Silberner Leopard, bestes Erstlings- oder Zweitlings-Werk: "Thirteen" von Catherine Hardwicke (USA)

Leopard für die besten Darstellerinnen ex aequo an: Holly Hunter im Film "Thirteen" von Catherine Hardwicke, Diana Dumbraya im Film "Maria" von Calin Netzer, Kirron Kher im Film "Silent Water" von Sabiha Sumar

Leopard für besten Darsteller: Serban Ionescu im Film "Maria" von Calin Netzer

Publikumspreis für den besten Film auf der Piazza Grande: "Das Wunder von Bern" von Sönke Wortmann (Deutschland)

Videowettbewerb: Goldener Leopard ex aequo an "Cantata de las cosas solas" von Willi Behnisch (Argentinien) und "Ixième, journal d'un prisonnier" von Pierre-Yves Borgeaux und Stéphane Blok (Schweiz)

"Leoparden von morgen": Preis für besten Schweizer Kurzfilm an "Meyers" von Steven Hayes, Preis für besten skandinavischen Kurzfilm an "Viktor och hans Bröder" von Marten Klingberg

Jugendjury: 1. Preis: "Spring, Summer, Fall, Winter and Spring" von Kim Ki-Duk (Südkorea), 2. Preis: "Au sud des nuages" von Jean-François Amiguet (Schweiz), 3. Preis: "Gori Vatra" von Pjer Zalica (Bosnien- Herzegovina)

Jury der Kritikerwoche: "The Weather Underground" von Sam Green und Bill Siegel (USA)

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