Nachhaltige Landwirtschaft gegen den Hunger
Zum Welternährungstag insistiert der Schweizer Agrar-Experte Hans Rudolf Herren, dass eine andere Landwirtschaft das Hungerproblem lösen könnte.
Herren fordert im Gespräch mit swissinfo mehr Unterstützung und Aufklärung seitens der reichen Länder.
Der Insektenforscher Hans Rudolf Herren hat sich als Spezialist zur Rettung der Maniok-Pflanzen in der afrikanischen Sub-Sahara einen Namen gemacht. 1995 wurde er dafür mit dem Welt Ernährungspreis ausgezeichnet.
Der diesjährige Welternährungstag der UNO-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft (FAO) steht unter dem Thema "Landwirtschaft und interkultureller Dialog".
Damit will die FAO auf die Tatsache aufmerksam machen, dass der Dialog zwischen den verschiedenen Kulturen eine wichtige Voraussetzung im Kampf gegen den Hunger darstellt.
Die FAO verspricht sich von einem verstärkten interkulturellen Dialog besonders unter den Entwicklungsländern Fortschritte bei der Bekämpfung von Hunger und Mangelernährung.
Doch dieser Dialog sei durch den Produktionsdruck auf die Landwirtschaft und die genetische Veränderung von Lebensmitteln gefährdet.
swissinfo: Ein grosser Teil der Weltbevölkerung leidet unter Hunger und Unterernährung. Kann der interkulturelle Dialog helfen, den Hunger zu bekämpfen?
Hans Rudolf Herren: Ich denke, er kann zu einem besseren Verständnis beitragen und mithelfen, das Problem zu lösen. Auf der Welt wächst eine grosse Menge an Nahrungsmitteln, aber nicht immer am richtigen Ort.
Die Länder mit Überproduktion verunmöglichen es den zuwenig produzierenden Ländern, ihre Produktion zu intensivieren und die Nahrungsmittel an die Leute zu verteilen, die an Hunger leiden.
swissinfo: Den Hunger auf der Welt reduzieren; das ist eines der Millenniums-Ziele der UNO. Tun die reichen Länder wie die Schweiz genug?
H.R.H.: Nein. Allein die Tatsache, dass so viele Menschen an Hunger leiden, belegt meine Haltung. Es wird weder genug getan, um die Armut zu lindern, noch um den Hungernden Arbeit und ein Einkommen zu geben.
Die Menschen müssen hungern, weil sie nicht genügend Mittel haben, um Nahrungsmittel zu kaufen. Und die Landwirte haben nicht genügend Produktions-Anreize. Wenn es einen Markt gibt, dann wollen und werden die Bauern auch produzieren.
Reiche Länder müssen nicht mehr Geld geben. Sie müssen vielmehr mit Nachdruck in die Entwicklungs-Möglichkeiten der armen Länder investieren. Zum Beispiel in die Ausbildung der Landwirte.
Die finanziellen Mittel müssen vermehrt in Forschung und Bildung zugunsten nachhaltiger Landwirtschaftssysteme investiert werden.
swissinfo: Denken Sie, dass die Forschung diesbezüglich auf dem richtigen Weg ist?
H.R.H.: Nötig ist eine intensivere Forschung, welche stärker auf die unterschiedlichen Bedürfnisse der verschiedenen Regionen eingeht. Ich denke nicht, dass wir mehr Forschung zum Mais-Anbau brauchen. Wir sollten vielmehr die Basis des Anbaus stärker diversifizieren.
In den extrem trockenen Gegenden Afrikas wachsen andere Samen als Korn-Samen beispielsweise viel besser.
Mehr Forschung könnte helfen, traditionelle und vergessene Sorten wieder zum Leben zu erwecken. So kämen die Bauern zu einem Einkommen.
Es braucht eine ganze Menge Forschung, um traditionelle Sorten wieder aufleben zu lassen und sie auch zu verbessern. Vergessene Gemüse, Früchte und Nüsse müssen sich wieder etablieren. Das würde auch die Ernährungs- und Gesundheitssituation in Entwicklungsländern verbessern helfen.
swissinfo: In Afrika haben verschiedene Länder den Anbau von genetisch veränderten Samen zugelassen. Ist das in Entwicklungsländern wirklich ein spezielles Anliegen?
H.R.H.: Der Beweis müsste noch erbracht werden, dass solche Varianten wirklich einem Bedürfnis entsprechen. Die wirklichen Sachzwänge liegen in der Frage der Fruchtbarkeit der Böden und in den landwirtschaftlichen Systemen. Wirklich nötig ist eine verstärkte Forschung in den Bereichen Agronomie und nachhaltige Anbaumethoden.
Ein optimiertes Getreidekorn produziert keine Mehrerträge, ausser es wird unter optimierten Bedingungen angebaut. Das scheinen wir vergessen zu haben.
Wir müssen in den Entwicklungsländern eine Landwirtschaft fördern, welche dazu beiträgt, dass die Böden gesund bleiben, anstatt eine industrielle Landwirtschaft zu unterstützen, welche zur Verarmung der Böden beiträgt.
Wenn Gentechnologie zu einer nachhaltigeren Landwirtschaft beiträgt, dann habe ich kein Problem damit. Aber wir haben viele andere Probleme zu lösen, bevor wir Millionen ausgeben für Dinge, die nicht unbedingt mehr Nahrungsmittel produzieren.
swissinfo: Hat also die Anwendung von Gentechnologie in Entwicklungsländern mehr mit Politik zu tun?
H.R.H.: Das hat allerdings sehr viel mit Politik und Wirtschaft zu tun. Amerikanische Gesellschaften drängen auf die Anwendung der Gentechnologie, und ihre Lobbyisten sind hart am Ball. Diese Technologie mag ja vielleicht für etwas gut sein, aber es gibt viel bessere und billigere Alternativen.
Darauf haben wir unsere Forschung konzentriert und gezeigt, dass die Anwendung anderer Technologien bauernfreundlicher ist. Afrikanische Bauern haben keinen Zugang zur Gentechnologie – nicht einmal zu Düngemitteln.
Gentechnologie ist nicht das Richtige. Wir müssen vielmehr die Bedürfnisse der Bauern berücksichtigen, Lösungen finden, welche wirklich hilfreich sind und zu der nachhaltigen Landwirtschafts-Produktion kommen, wie sie die FAO fördert.
swissinfo-Interview: Scott Capper
(Übertragung aus dem Englischen: Andreas Keiser)
Fakten
Hans Rudolf Herren ist einer der weltweit führenden Insekten-Forscher und hat während 20 Jahren in Afrika gelebt und gearbeitet.
Bis vor kurzer Zeit war er Direktor des "Centre of Insect Physiology and Ecology" in Nairobi, Kenya.
Herren ist Präsident der in Zürich domilizierten Stiftung Biovision und des Millennium Institute in Washington.
In Kürze
Der Welternährungs-Tag der UNO-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft (FAO) findet jedes Jahr am 16. Oktober statt.
Die FAO wurde am 16. Oktober 1945 gegründet.
Die Welternährungs-Organisation will bei den Feierlichkeiten in diesem Jahr in Rom und in 150 Ländern weltweit darauf aufmerksam machen, dass ein internationaler Austausch von Wissen über Nahrung den Hunger reduzieren kann.

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