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Demokratische Innovation in der Schweizer Gemeinde Sion

Die Bürgerinnen und Bürger Sions werden die Ersten sein, die ein neues Instrument der partizipativen Demokratie ausprobieren werden - bei den eidgenössischen Abstimmungen am 9. Februar 2020. Das Vorbild für das Projekt stammt aus Oregon, USA. Keystone / Olivier Maire

Das demokratische Erbe durch Experimente mit einem in Oregon entwickelten partizipativen Modell erweitern: Die Gemeinde Sion ist Vorreiter in einem Projekt des Schweizerischen Nationalfonds (SNF). Es wird Bürger einbeziehen, die durch das Los bestimmt wurden.

Dieser Inhalt wurde am 13. August 2019 - 17:00 publiziert

2000 Menschen erhalten in SionExterner Link in diesen Tagen Post der etwas anderen Art: Sie sind eingeladen, an dem Projekt teilzunehmen, das zur Bildung eines "Bürgerpanels" führen wird. An diesem Panel wird ein Bericht über eine Frage erstellt, über die am 9. Februar 2020 an der Urne abgestimmt wird. Das Panel wird vier Tage dauern und im November stattfinden.

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"Diese Übung wird helfen, den wahren Wert der Demokratie, der manchmal vergessen geht, wiederzuentdecken, nämlich die Gleichheit der Bürger. Wir neigen dazu zu sagen, dass Politik zu komplex ist und übergeben sie lieber an Politikerinnen und Politiker", sagt Nenad StojanovićExterner Link, Professor an der Universität Genf, der das Forschungsprojekt leitet.

Stattdessen "werden diese Menschen während der vier Tage nicht nur etwas über ein komplexes Thema lernen", sagt Stojanović - Indem sie in den Prozess der Meinungsbildung zu einem Thema einbezogen werden, über das die Menschen abstimmen sollen. Wiichtig sei auch die Tatsache, "dass die einfachen Bürger die Fähigkeit haben, dieses komplexe Thema zu verstehen und ihre eigene Meinung zu äussern".

Das Projekt ist inspiriert von der 2010 in Oregon eingeführten Citizens' Initiative Review (CIRExterner Link).

Eine Schweizer Premiere mit Unbekannten

Die 2000 Bürger, welche die Einladung in diesen Tagen erhalten haben, wurden unter den fast 21'000 im Wählerverzeichnis von Sion eingetragenen Bürgern ausgelost, erklärt der Politikwissenschaftler.

Interessenten müssen sich bis Anfang September anmelden. Basierend auf ähnlichen Erfahrungen in anderen Ländern rechnen Nenad Stojanović und seine Mitarbeiter mit einer Beteiligung von rund 10% der eingeladenen Personen.

"Das wäre unser Ziel. Da es sich jedoch um das erste Mal handelt, dass dieses Instrument in der Schweiz eingesetzt wird, ist alles möglich", sagt der Forscher und hält gleichsam fest, dass sich der Schweizer Kontext von dem in Oregon unterscheidet und es daher schwierig ist vorherzusagen, wie die Bürger reagieren werden.

Die von den Forschern berechnete Mindestschwelle, um die endgültige Auswahl treffen zu können, beträgt rund hundert Personen.

Ein repräsentativer Mikrokosmos

Wenn das numerische Ziel erreicht ist, wird die endgültige Ziehung für die zwanzig Mitglieder des Bürgerpanels durchgeführt. Bereits in diesem Stadium erfolgt die Stichprobe nach dem Zufallsprinzip, jedoch stratifiziert nach Geschlecht, Alter, politischer Orientierung, Bildungsgrad und Häufigkeit der Wahlbeteiligung. "Auf diese Weise wird es eine Gruppe von Menschen geben, die einem Mikrokosmos entsprechen, der für das Wahlorgan von Sion repräsentativ ist", erklärt Nenad Stojanović.

Diese zwanzig Bürger werden sich an zwei Wochenenden im November treffen, um sich zu informieren, mit Experten zu diskutieren und sich untereinander zu beraten. Am Ende werden sie einen einseitigen Bericht erstellen, in dem sie zusammenfassen, worum es geht, und die wichtigsten Argumente für und gegen das betreffende Thema sowie ihre Schlussfolgerungen darlegen. 

Das Dokument wird auch das Ergebnis der internen Abstimmung des Panels enthalten. Der Bericht wird Anfang Januar an die gesamte Bevölkerung von Sion geschickt, mehr oder weniger gleichzeitig mit der Stimmkarte und der offiziellen Broschüre mit den Erklärungen des Bundesrates.

Staatskunde im Feld

Das wissenschaftliche Projekt umfasst dann die Überprüfung der Auswirkungen. In Oregon hat die CIR einen wichtigen Einfluss auf die Information und Mobilisierung der Wählerschaft, die mehr Vertrauen in die Bewertung des Bürgerpanels hat als in die Ausführungen aus der offiziellen Broschüre.

Das heisst jedoch nicht, dass dies auch so auf die Schweiz zutreffen müsse, sagt Nenad Stojanović. Er bleibt jedoch optimistisch. "Es darf nicht vergessen werden, dass im Durchschnitt weniger als die Hälfte der Wahlberechtigten in der Schweiz wählen. Was ist mit der anderen Hälfte?"

Laut dem Professor ist es nicht ausgeschlossen, dass es unter den Abstinenzlerinnen und Abstinenzlern Bürgerinnen und Bürger gibt, die "den Eliten nicht vertrauen - die diejenigen sind, welche die Informationen in der offiziellen Broschüre liefern -, die aber normalen Menschen wie ihnen vertrauen können. 

Darüber hinaus gibt es auch Bürger, welche die Politik für zu komplex halten und keine Zeit haben, eine ganze Broschüre zu lesen, die aber vielleicht eine Seite lesen würden, die das Ergebnis eines ernsthaften und objektiven Prozesses ist, geschrieben in einer Sprache, die für alle zugänglich ist.

Auch nicht zu unterschätzen gilt, dass das Projekt für die Panelmitglieder eine bürgerliche Lektion auf diesem Gebiet wäre, obwohl nur zwanzig Personen daran teilnehmen würden. "Es findet ein Multiplikatoreffekt statt: Jeder spricht mit Familie, Freunden, Kollegen".

Ein politischer Wille, die Bürger zu aktivieren

In Sion scheint der Boden fruchtbar für die Pflege des demokratischen Dialogs und der Bürgerintegration zu sein. Die Gemeinde der Walliser Hauptstadt hat in ihrem Gesetzgebungsprogramm 2017-2020 das Ziel der Integration der Einwohnerinnen und Einwohner und der Entwicklung der Bürgerbeteiligung an kommunalpolitischen Entscheidungen aufgenommen und entsprechend gehandelt.

"Das Interesse an einer stärkeren Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger an der Ausübung der Demokratie ist auch eines der Kriterien bei der Auswahl der Gemeinden, die sich an das Modell von Oregon angepasst haben", sagt Nenad Stojanović.

Die Walliser Hauptstadt ist die erste, aber nicht die letzte: "Wir wollen diese Erfahrung mit mindestens zwei Gemeinden machen", sagt der Projektleiter.

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