Kantone wollen Tür für EU-Beitritt offen halten
Alle 26 Kantonsregierungen sprechen sich für eine Konsolidierung der bestehenden bilateralen Verträge mit der EU aus. Gleichzeitig wollen sie einen Beitritt als längerfristige Option offen lassen.
In ihrem Positionspapier zur Europapolitik zeigt sich die Konferenz der Kantonsregierungen skeptisch gegenüber der Möglichkeit, den bilateralen Weg weiter auszubauen.
Die Konferenz der Kantonsregierungen (KdK) hat am Dienstag in Bern ihre gemeinsame europapolitische Haltung publiziert.
Die 26 Kantonsregierungen nehmen dabei Stellung zum Europabericht 2006, in dem der Bundesrat auf die Weiterentwicklung des bilateralen Weges setzt und den EU-Beitritt vom strategischen Ziel zu einer Option unter anderen zurückstuft.
Die Bundesverfassung verpflichte die Kantone zur Mitwirkung an der Vorbereitung aussenpolitischer Entscheide, sagte der Schwyzer christlich-demokratische KdK-Präsident Lorenz Bösch. Begrüssenswert wäre es, wenn auch die kantonalen Parlamente in die Europapolitik einbezogen würden.
Auf die Kantone hören
Für die Führung der Aussen- und damit der Europapolitik, so räumt die KdK ein, sei der Bundesrat zuständig. Doch sollte er dabei die Haltung der Kantone berücksichtigen. Auf diese Weise trage er zur Verankerung der Europapolitik in der Bevölkerung bei. Die Zusammenarbeit Bund-Kantone müsse vertieft werden, sagte Bösch.
Die Konferenz ist mit dem bundesrätlichen Konzept zur Wahrung der materiellen und ideellen Interessen der Schweiz einverstanden. Sie ist jedoch der Auffassung, dass dieses Konzept nicht unter allen Umständen sinnvoll ist.
Auch dürfe über die Frage eines EU-Beitritts "keinesfalls kurzfristig und situativ" entschieden werden.
Bilateralismus: Ja, aber...
Die Kantonsregierungen teilen die Auffassung des Bundesrates, dass die Interessen der Schweiz zum gegenwärtigen Zeitpunkt am besten durch die bilaterale Zusammenarbeit mit der EU gewahrt werden können, sagte der sozialdemokratische Zürcher Regierungsrat Markus Notter. Sie seien deshalb für eine Konsolidierung der bestehenden Verträge.
Notter zog als Vorsitzender der Europakommission der KdK eine insgesamt positive Bilanz des bilateralen Vertragswerks. Störend sei allerdings der faktische Zwang zur Übernahme von EU-Recht.
Für einen weiteren Ausbau des Bilateralismus brauche es deshalb "sehr gute" Gründe.
Ausrichtung auf den EU-Beitritt - längerfristig
Was einen allfälligen EU-Beitritt betrifft, so steht diese Frage nach Auffassung der Kantonsregierungen zwar kurz- und mittelfristig nicht zur Debatte. Längerfristig bleibt laut Notter ein Beitritt zur Europäischen Union aber nach wie vor eine Option, die "auf jeden Fall" offen zu halten sei.
Die Konsequenzen eines Beitritts müssten bereits heute vertieft analysiert werden, forderte Notter weiter. Denn der EU-Beitritt habe - "schleichend" – bereits begonnen.
Einig im Steuerstreit
Eine multilaterale Kooperation nach dem Muster eines EWR-2 (Europäischer Wirtschafts-Raum) erachten die Kantonsregierungen nicht als geeignete Option.
Sie laden den Bundesrat ein, ergänzend einen Bericht über die wirtschaftlichen Vor- und Nachteile der beiden Optionen Bilateralismus und EU-Beitritt zu erarbeiten.
Was den so genannten Steuerstreit mit der EU angeht, liegt die KdK ganz auf der Linie des Bundesrates. Zum schweizerischen Förderalismus gehöre die Finanzautonomie der Kantone, sagte Präsident Lorenz Bösch. Das Freihandelsabkommen mit der EU könne nicht angerufen werden. Es sei der Dialog zu pflegen, zu verhandeln gebe es nichts.
swissinfo und Agenturen
Fakten
1972: Die Schweiz und die Europäische Gemeinschaft (später EU) unterzeichnen ein Freihandelsabkommen.
1992: Bern deponiert in Brüssel ein Beitrittsgesuch zur Europäischen Union (EU). Im gleichen Jahr verwirft das Volk den Beitritt zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR).
2002: Das 1. Paket der bilateralen Vertäge mit der EU tritt in Kraft (Bilaterale I).
2004: Bern und Brüssel unterzeichnen die 2. bilateralen Verträge (Bilaterale II).
In Kürze
Die Schweiz verfolgt eine Europapolitik auf bilateralem Weg; konkrete Fragen der Zusammenarbeit werden mit der EU durch bilaterale Abkommen in klar umgrenzten Bereichen geregelt.
Seit dem Freihandelsabkommen von 1972 wurde das bilaterale Vertragswerk kontinuierlich ausgebaut, u.a. durch die bilateralen Abkommen I und II.
Diese Abkommen schaffen einen weitgehenden gegenseitigen Marktzugang und sind Grundlage für eine enge Kooperation in Bereichen wie Forschung, Sicherheit, Asyl, Umwelt und Kultur.
Der bilaterale Weg der Schweiz wurde in verschiedenen Abstimmungen vom Volk bestätigt und unterstützt.
Gegenwärtig herrscht ein kühler Wind zwischen der Schweiz und der EU. Letztere stört sich an den Steuerprivilegien, welche einige Kantone an Holdinggesellschaften gewähren, die ihre Gewinne im Ausland realisieren.

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