James Bakers Lektion für George Bush
Der Baker-Report sei eine blanke Desavouierung der bisherigen Irak-Politik der Administration Bush. Bleibe abzuwarten, was das Weisse Haus daraus macht.
Die Schweiz habe in diesem Konflikt ausser dem humanitären Trumpf keine Karte auszuspielen, sagt der Genfer Experte für internationale Beziehungen Victor-Yves Ghebali.
Am Mittwoch hat US-Präsident George Bush im Weissen Haus die zehn "Weisen" der Studiengruppe Irak empfangen. Angeführt wurde sie von James Baker, dem US-Aussenminister unter George Bushs Vater, und Lee Hamilton, ehemaligem Abgeordneten der Demokratischen Partei.
Der Report geht sehr hart ins Gericht mit der regierenden Administration Bush, und er zeigt keinen wundersamen Ausweg aus dem irakischen Sumpf. Der Bericht zählt 79 Empfehlungen auf, um das totale Chaos zu vermeiden.
Darunter einen Rückzug der wichtigsten Kampftruppen ab Anfang 2008, die Öffnung für einen Dialog mit Syrien und dem Iran und ein aktives Engagement für eine Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts.
Die Schweiz begrüsse die "Stossrichtung" des Baker-Berichts, erklärte Lars Knuchel, Sprecher des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA). Der Bericht strebe diplomatische Lösungsansätze und die Förderung des Dialogs mit allen Staaten der Region an.
Präsident Bush hat den Autoren zugesichert, man nehme ihre Arbeit "sehr ernst". Doch von dieser Zusage bis zur Änderung seiner Politik dürfte es noch ein langer Weg sein. Dies ist die Auffassung Victor-Yves Ghebalis, Professor am Genfer Hochschulinstitut für internationale Studien (HEI).
swissinfo: Was ist Ihre erste Reaktion nach der Lektüre des Baker-Berichts?
Victor-Yves Ghebali: Es handelt sich um ein solides, seriöses und vor allem klar formuliertes Werk. Eine Art "Ausnüchterung" im Umgang mit einer von Ideologie durchtränkten Administration. Wir haben es hier mit einem realistischen Text zu tun, der die Dinge beim Namen nennt.
Wäre Bush ein "normaler" Präsident, dann glaube ich, würden wir jetzt Zeugen eines Richtungswechsels werden. Doch er erklärte noch vor einer Woche, "den Irak bis zum Sieg nicht zu verlassen". Unter diesen Umständen erscheint es mir unwahrscheinlich, dass er die Empfehlungen des Berichts beherzigt.
Ausserdem kommt der Report viel zu spät. Es ist nicht einzusehen, weshalb nun Syrien und der Iran für die Amerikaner die heissen Kastanien aus dem irakischen Feuer holen sollen. Es sei denn, Amerika würde ihnen enorme Konzessionen zugestehen – solche, denen die Administration Bush ohnehin nie zustimmen würde.
swissinfo: Falls Washington Verhandlungen mit Syrien und Iran zustimmen würde, welche Rolle könnte dann Ihrer Ansicht nach die Schweiz übernehmen?
V.-Y.G.: Die Schweiz nimmt ja bereits jetzt die Interessen Washingtons in Teheran wahr. Doch bei Verhandlungen auf Top-Niveau, wo Teheran wahrscheinlich den Amerikanern Zugeständnisse im Nuklear-Bereich abringen möchte, sehe ich die Schweiz kaum mitmachen. Diese Themen gehen weit über das hinaus, was Vermittler üblicherweise als Dienste anbieten.
Natürlich hätte die Schweiz im Fall einer zugegeben sehr hypothetischen nationalen Aussöhnung im Irak eine starke Karte auszuspielen. Bei einem Wiederaufbau wäre die Karte der humanitären Dienste und der Wirtschaftshilfe wichtig.
swissinfo: Der Baker-Bericht besteht auf eine Lösung im israelisch-palästinensischen Konflikt. Wäre das ein Aufhänger, um die "Genfer Initiative" wieder zu beleben?
V.-Y.G.: Ja, sicher. Falls die US-Administration akzeptiert, mehr Druck auf Israel aufzusetzen und die beiden Parteien zu Verhandlungen zu bewegen, wäre alles möglich. Das könnte dann eine Chance für die an sich sehr noble und schöne "Genfer Initiative" werden.
Doch zur Zeit befindet sie sich auf Eis. Jene, die auf Frieden setzen, sind in beiden Lagern momentan stark geschwächt. Solange terroristische Attentate stattfinden, wird sich nicht einmal ein israelischer Pazifist als solcher ausgeben.
Und wenn überdimensionierte Angriffe auf die besetzten Gebiete oder auf Libanon geführt werden, vergeht auch den konzilianteren Palästinensern die Lust auf ein Nachgeben.
Man darf sich nicht in Illusionen verlieren. Der Schlüssel im israelisch-palästinensischen Konflikt liegt nicht in Tel Aviv, sondern in Washington. Und so lange die USA die Rolle nicht spielen, die ihnen auf Grund ihrer Pflichten zustehen würde, wird sich die Situation nur noch weiter verschlimmern. Zum Schaden sowohl der Palästinenser als auch der Israeli.
swissinfo-Interview, Marc-André Miserez
(Übertragung aus dem Französischen: Alexander Künzle)
Fakten
Zur Zeit halten sich 140'000 Soldaten im Irak auf.
Seit der Invasion im März 2003 sind über 2900 von ihnen umgekommen, weitere 25'000 wurden leicht oder schwer verletzt.
Die Opfer auf irakischer Seite variieren je nach Schätzung zwischen 120'000 und 650'000 Toten in dreieinhalb Jahren.
Genfer Initiative
Dieser alternative Friedensplan für eine israelisch-palästinensische Lösung ist hauptsächlich das Werk zweier ehemaliger Minister, des Israeli Yossi Beilin und des Palästinensers Yasser Abed Rabbo.
Die Initiative wurde am 1. Dezember 2003 in Genf unterzeichnet, mit Unterstützung der Schweiz, verschiedener Staatschefs und hoher Verantwortlicher der UNO.
Der Plan von Genf sieht vor, dass die staatliche Hoheit über Jerusalem geteilt wird, die israelischen Truppen sich aus fast allen palästinensischen Gebieten zurückziehen und die palästinensischen Flüchtlinge entschädigt werden, jedoch nur ein bedingtes Recht auf Rückkehr einfordern können.
Die USA hatten den Plan als interessant erachtet, doch lehnte ihn die israelische Regierung ab. Seither ist er aufs Eis gelegt.

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