Ja zu Reformen, nein zu Liberalisierung
Die Schweiz will keine radikale Liberalisierung der Landwirtschaft. Sie fürchtet um die Existenz ihrer Bauern.
Handelsschranken und Agrarsubventionen behindern laut dem Chefökonomen der Weltbank jedoch den Kampf gegen die Armut.
Das Hauptziel der Welthandelsorganisation (WTO) ist die Förderung des Welthandels durch den Abbau von Handelsschranken. Nur sind sich die 146 Mitgliedstaaten selten darüber einig, wie schnell und in welchem Umfang die Liberalisierung stattfinden und für welche Bereiche sie gelten soll.
Eines der umstrittensten WTO-Dossiers ist die Landwirtschaft. Dabei geht es insbesondere um den Abbau der Schutzzölle und Subventionen.
An der Frühjahrstagung von Weltbank und Internationalem Währungsfonds am 13. April geisselte Weltbank-Chefökonom Nick Stern die Handelsschranken der reichen Industrieländer gegenüber den Drittweltprodukten und deren Agrarsubventionen als das Haupthindernis im Kampf gegen die Armut.
Grosses Politikum: Agrarwirtschaft
Auch die Schweiz gehört zu den protektionistischen Ländern. Der Bundesrat stellt sich diesbezüglich auf die Seite der Schweizer Bauern und bezieht klar Position gegen die jüngsten WTO-Vorschläge: Sie seien "untragbar" für die Schweizer Landwirtschaft.
Die WTO will die Schutzzölle und Subventionen innerhalb von 5 Jahren bis zu 60% senken, die Exportbeihilfen innerhalb von 10 Jahren abschaffen und die Importkontingente erhöhen. Eine Verankerung des Prinzips der Multifunktionalität fehlt dafür in den Vorschlägen fast ganz.
Vorschläge untragbar für die Schweiz
Gerade diese ist jedoch laut dem Schweizerischen Bauernverband (SBV) "zentral für die heimische Landwirtschaft". Denn deren Rolle bestehe nicht nur in der Produktion von Nahrungsmitteln, sondern auch im Erbringen gemeinwirtschaftlicher Leistungen wie Landschaftspflege oder Erhaltung des ländlichen Raums.
Dies rechtfertigt laut dem SBV die von der WTO in Frage gestellten Subventionen in Form von Direktzahlungen. Auch die EU, Japan, Norwegen und zahlreiche andere Länder - ingesamt 75 Staaten - befürworten das Konzept der Multifunktionalität.
Die vorgesehenen Liberalisierungs-Schritte bedeuteten laut dem SBV praktisch die Aufhebung des Grenzschutzes: Damit würden die Produzentenpreise auf Weltmarktniveau sinken.
Karl Tschuppert, freisinniger Nationalrat, bringt es auf den Punkt: "Das nationale Agrar-Reformpaket ist ein Sandkastenspiel im Vergleich zu dem, was die Landwirtschaft erwartet, falls sich die Schweiz in der WTO nicht durchsetzen kann."
Zugeständnisse der Schweiz
Die Schweiz bekennt sich zwar nach eigenen Angaben zur Liberalisierung - auch in der Landwirtschaft - aber sie will diese weniger schnell und in einem geringeren Umfang durchführen.
Luzius Wasescha, Botschafter und Delegierter für Handelsverträge im Staatssekretariat für Wirtschaft (seco) sagte gegenüber swissinfo: "Beim Marktzutritt offerieren wir einen Zollabbau von 36%, bei der Inlandstützung einen Abbau von 30% und 55% weniger Exportsubventionen."
Wasescha bleibt trotz den aktuellen kontroversen Positionen innerhalb der WTO optimistisch: "Auch in früheren Verhandlungen waren die Fronten verhärtet, doch immer konnten sie wieder aufgeweicht werden. Diesmal wird es nicht anders sein."
Bis zu der grossen Ministerkonferenz im Herbst im mexikanischen Cancun gebe es noch zwei kleinere Verhandlungsrunden im Juni und im Juli.
Kleiner Spielraum
Stellt sich die Frage, wie gross der Spielraum der Schweiz überhaupt ist: Dazu Wasescha: "Wenn wir eine vernünftige, den politischen Realitäten entsprechende Basis finden, dann haben wir einen gewissen Handlungsspielraum. Wenn wir jedoch von einer sehr einseitigen Basis der grossen Agrarexporteure ausgehen, dann werden wir uns nie einigen."
Laut Wasescha wäre das Beste, das der Schweiz bei den Verhandlungen passieren könnte, ein Konsens mit den 75 Ländern über einen Zollabbau von durchschnittlich 36% und eine rechtliche Absicherung der Direktzahlungen. Denn, so der Botschafter: "Dann hätten wir eine gewisse Flexibilität bei den Exportsubventionen."
swissinfo, Elvira Wiegers
Fakten
Innerhalb der WTO tobt ein Streit über die Rahmenbedingungen für eine internationale Agrarpolitik.
Die Schweiz ist gegen eine radikale Liberalisierung und für eine multifunktionale Landwirtschaft. Damit vertritt sie die selbe Position wie die EU, Korea, Norwegen, Mauritius und zahlreiche andere Länder.
Eine rasche Liberalisierung hingegen fordern die grossen Agrarexportstaaten USA, Kanada, Australien, Südamerika und einige ostasiatische Länder.
Die nächste grosse Ministerkonferenz der WTO findet im September im mexikanischen Cancun statt, zwei kleinere Treffen im Juni und Juli.
In Kürze
Der Anteil der Schweiz am Welthandel beträgt 2%. Anders als die grossen Wirtschaftsblöcke wie die EU kann die Schweiz keine Marktmacht bei den WTO-Verhandlungen in die Waagschale werfen.
Gleichzeitig ist die Schweiz aussenwirtschaftlich sehr stark verflochten, ihre Aussenhandelsquote (Anteil Exporte am Bruttoinlandprodukt) beträgt 40%.
Deshalb spielt die WTO eine wichtige Rolle in der Schweizer Aussenwirtschafts-Politik.
Ein Schweizer Bauer verdiente 2002 im Duchschnitt 30'400 Franken pro Jahr.

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