Navigation

Im Nahen Osten ist Libanon eine "Oase der Freiheit"

In Libanon ist auch das umstrittene Erotikmagazin "Jasad" erhältlich, das sonst in der ganzen arabischen Welt verboten ist. Susanne Schanda

Der libanesische Politologe Tarek Mitri hat sich für den Dialog zwischen Muslimen und Christen engagiert und an der Universität Genf Politikwissenschaft unterrichtet. Heute verteidigt er als Minister für Information die Meinungsfreiheit in Libanon.

Dieser Inhalt wurde am 08. November 2009 publiziert Minuten

swissinfo.ch: Sie pflegen enge Beziehungen zur Schweiz...

Tarek Mitri: Ich habe 16 Jahre lang in Genf gelebt und habe noch heute eine Wohnung dort. Manchmal verbringe ich das Wochenende in Genf. Meine Frau und die Kinder haben die Schweizer Staatsbürgerschaft angenommen.

swissinfo.ch: Libanon wird oft als die Schweiz des Nahen Ostens bezeichnet. Wo sehen Sie Parallelen?

T.M.: Libanon hat eine ganz andere Geschichte. Aber wir sind insofern mit der Schweiz vergleichbar, als unser System zunehmend auf Konsens gründet. Früher und auf dem Papier haben wir noch heute eine parlamentarische Demokratie, in der es eine Mehrheit und eine Opposition gibt. Doch jetzt bewegen wir uns Schritt für Schritt auf ein Konsensmodell wie das schweizerische zu.

Beide Länder sind pluralistisch. Die Schweiz hat mehrere Sprachen, wir haben zahlreiche religiöse Gemeinschaften. Es gibt Ähnlichkeiten im ökonomischen System. Allerdings gelingt es uns besser, das Bankgeheimnis zu bewahren als der Schweiz, die jetzt unter einem riesigen Druck steht.

swissinfo.ch: Das politische System Libanons ist für Aussenstehende nur schwer zu durchschauen...

T.M.: ... das ist es auch für Insider.

swissinfo.ch: Die zahlreichen religiösen, politischen und ethnischen Gruppen Libanons arbeiten eher gegen- als miteinander. Dies führt immer wieder zu lang andauernden Regierungskrisen. Gefährdet dies die Stabilität des Landes?

T.M.: Jedes Land ohne Regierung ist instabil. Besonders ein Land wie Libanon, wo das Gleichgewicht der Macht so labil ist, dass das politische Vertrauen leicht umschlagen könnte in heftige Konflikte, wie wir das in der Vergangenheit hatten. Deshalb sind wir etwas nervös, wenn eine politische Krise lange anhält.

Der andere Grund für die Instabilität ist, dass Libanon unglücklicherweise nicht nur eine libanesische Angelegenheit ist. Unser Land ist ein Schlachtfeld für andere Mächte. Sogar die Bildung des Kabinetts ist nicht eine rein libanesische Angelegenheit.

swissinfo.ch: Libanon ist das liberalste Land im Nahen Osten. Was tun Sie als Informationsminister, um diese Freiheit zu erhalten?

T.M.: Bereits bevor ich Informationsminister wurde, setzte ich mich als Kulturminister für die intellektuelle Freiheit, die Freiheit der Meinungsäusserung und der Kreativität ein. Ich habe ein neues Gesetz entworfen, das die Voraus-Zensur abschaffen soll.

swissinfo.ch: Was heisst das?

T.M.: Während Bücher in Libanon frei veröffentlicht werden können, müssen Filmemacher vor Drehbeginn eine Genehmigung einholen, und Theaterleute müssen ihren Text absegnen lassen, bevor sie ihn aufführen dürfen. Der Chef der Sicherheitsbehörde sieht sich die Arbeiten an und empfiehlt dem Informationsminister, was zensuriert oder verboten werden soll.

Ich habe es immer abgelehnt, eine künstlerische Arbeit zu verbieten. Aber das löst das Problem nicht. Das Problem kann nur durch eine Änderung des Gesetzes gelöst werden. Denn ein anderer Minister könnte ein Verbot unterzeichnen.

swissinfo.ch: Wie sieht Ihr Vorschlag aus?

T.M.: Es müsste eine nationale Kommission für Freiheit und Ethik gebildet werden, welche die moralische Autorität hat, eine Meinung abzugeben, wenn ein Film die öffentliche Ordnung stört oder religiöse Gefühle einer Gemeinschaft verletzt. Diese Meinung kann durch die Gerichte bei ihrer Urteilsfindung berücksichtigt werden.

Wenn zum Beispiel ein Film das Bild des Propheten Mohammed verzerrt, kann er an die Kommission für Freiheit und Ethik geschickt werden. Kommt diese zum Schluss, dass der Film nicht nur religiöse Gefühle verletzt, sondern den zivilen Frieden gefährdet, könnte ich als Informationsminister oder auch irgend ein Normalbürger den Fall vors Gericht bringen.

swissinfo.ch: Dann würde also das Gericht entscheiden und nicht mehr der Informationsminister?

T.M.: Genau, das Gericht entscheidet auf der Grundlage des Urteils der nationalen Kommission für Freiheit und Ethik, einem Rat von weisen Männern und Frauen. Die Entscheidung sollte nicht in die Hände von Politikern gelegt werden.

swissinfo.ch: Zahlreiche Autoren aus repressiven arabischen Staaten publizieren ihre Bücher in Libanon.

T.M.: Bücher, Zeitungen und Magazine können hier frei publiziert werden. Diesbezüglich sind wir sogar liberaler als gewisse europäische Länder.

swissinfo.ch: Woher kommt diese liberale Haltung? Warum ist Libanon eine Ausnahme im Nahen Osten?

T.M.: Libanon ist ein pluralistisches Land. Pluralität fördert die Praxis der Freiheit. Wir haben ein demokratisches politisches System in einer Region, in der die meisten Regimes autoritär sind. Wir bieten eine Oase der Freiheit. Das gibt unserem kleinen Land eine wichtige Rolle in der Region. Diese wollen wir bewahren.

Susanne Schanda, Beirut, swissinfo.ch

TAREK MITRI

Er wurde 1950 in Tripolis geboren, studierte an der Amerikanischen Universität von Beirut Chemie und Politologie. An der Universität von Paris machte er sein Doktorat in Politologie. Ab 1982 lehrte er an der Universität St. Joseph in Beirut, ab 1991 an zahlreichen Universitäten im Ausland, so auch in Genf.

1991-2005 war Tarek Mitri Koordinator für interreligiösen Dialog im Ökumenischen Rat der Kirchen Genf und Programmsekretär für christlich-muslimischen Dialog.

Im libanesischen Kabinett hat er bereits als Kulturminister eine Aufhebung des Verbots von Marjane Satrapis Zeichentrickfilm "Persepolis" erreicht.

Als Informationsminister ist er der oberste Zensor des Landes, setzt sich als solcher aber gerade für die Freiheit der Meinungsäusserung ein.

Tarek Mitri gehört der christlichen Glaubensgemeinschaft an und politisiert als Unabhängiger auf der Seite der pro-westlichen Koalition von Premierminister Saad al-Hariri.

Sein Buch "Au nom de la bible, au nom de l'Amérique" ist bei Edition Labor et Fides in Genf erschienen.

End of insertion

LIBANON

Libanon ist eine parlamentarische Demokratie, in der die Machtaufteilung nach konfessioneller Zugehörigkeit geregelt wird. Es gibt 17 anerkannte Religionsgemeinschaften im Land.

Als nach dem Ende der Amtszeit von Präsident Emile Lahoud ein sechsmonatiges Machtvakuum entstand, entluden sich die politischen Spannungen im Mai 2008 in heftiger Gewalt zwischen der pro-westlichen Regierungsmehrheit und der von Syrien und Iran unterstützten Hisbollah.

Unter Vermittlung der Arabischen Liga wurde anschliessend die Bildung einer Regierung der Nationalen Einheit beschlossen.

End of insertion

Artikel in dieser Story

In Übereinstimmung mit den JTI-Standards

In Übereinstimmung mit den JTI-Standards

Mehr: JTI-Zertifizierung von SWI swissinfo.ch

Diskutieren Sie mit!

Diesen Artikel teilen

Passwort ändern

Soll das Profil wirklich gelöscht werden?