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Härter gegen Kriegsverbrecher vorgehen!

Die mutmasslichen Kriegsverbrecher Mladic und Karadzic (Bild: trial-ch.org) from trial website

Menschenrechts-Aktivisten beschuldigen die Schweizer Regierung, nicht genug zu tun, um mutmassliche Kriegsverbrecher vor Gericht zu bringen.

Dieser Inhalt wurde am 30. März 2003 publiziert Minuten

Die Gruppe TRIAL ist besorgt, weil Leute, welche Völkermord, Folter und Verbrechen gegen die Menschlichkeit begehen, oft ohne Strafe bleiben.

TRIAL wurde im Juni letzten Jahres von Aktivisten, Opfern und Anwälten ins Leben gerufen, darunter auch Bernard Bertossa, der frühere Genfer Staatsanwalt und hartnäckige Kämpfer gegen das Verbrechen.

Er möchte, dass die Regierung mehr unternimmt, um mutmassliche Kriegsverbrecher auf Schweizer Boden aufzuspüren und zu verhaften.

"Es gab ein paar Fälle von Kriegsverbrechern, welche in die Schweiz kamen, einige Monate da blieben und dann ausreisen konnten oder ausgewiesen wurden", führte TRIAL-Präsident Philippe Grant gegenüber swissinfo aus.

"Wir müssen die Behörden daran erinnern, dass sie nicht einfach untätig zusehen können, wie diese Leute kommen und gehen."

Verbrechen und Strafe

Als Beispiel dafür, wie sicher in der Schweiz mutmassliche Verbrecher vor gerichtlicher Verfolgung sind, nennt Grant den Fall des früheren UNO-Botschafters und Halbbruders von Saddam Hussein, Barzan al-Tikriti.

Laut Grant konnte al-Tikriti nach dem Rücktritt von seinem UNO-Amt noch mehrere Monate unbehelligt in der Schweiz bleiben.

Und dies trotz einer richterlichen Klage gegen ihn wegen seiner mutmasslichen Rolle beim Verschwinden von Tausenden von Kurden in den 80er-Jahren.

"Die Klage wurde eingereicht, während al-Tikriti auf Schweizer Hoheitsgebiet lebte, aber die Behörden liessen ihn monatelang frei kommen und gehen, bevor sie ihm eine weitere Einreise untersagten", so Grant.

"Sie hätten ihn verhaften können, taten es aber nicht. Wir finden das sehr schockierend."

"Die Schweiz tut alles..."

In einer Reaktion auf die Anschuldigungen der Gruppe erklärte Folco Galli, Sprecher des Schweizer Justizministeriums, dass die Schweiz alles tue, was möglich sei, um internationale Verbrecher im Rahmen ihres Justizsystems gerichtlich zu belangen.

"Wir arbeiten seit Jahren mit dem UNO-Tribunal für Ex-Jugoslawien und Ruanda zusammen", führte er aus. "Wir unterstützten und ratifizierten auch das Römer Statut über den Internationalen Strafgerichtshof."

Diplomatische Immunität

Ein Schweizer Beamter sagte unter der Bedingung, anonym zu bleiben, dass die diplomatische Immunität oft die Verhaftung bekannter Verbrecher verhindere, die in die Schweiz reisen.

"Wenn ein offizieller Vertreter aus Sierra Leone einen diplomatischen Besuch macht, können wir nichts gegen ihn unternehmen, sogar wenn wir wissen, dass er ein Kriegsverbrecher ist", erklärte er gegenüber swissinfo.

"Wenn solche Leute als Privatpersonen einreisen, ohne Immunität, dann untersuchen wir den Fall, und es kommt mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit zu einer Verhaftung."

Auch laut Nicolas Giannakopoulos, in der Schweiz ansässiger Experte für das organisierte Verbrechen, behindert die diplomatische Immunität die Verhaftung zwielichtiger Diplomaten, wie er es nennt.

Giannakopoulos findet, die Regierung sollte härter vorgehen und fragwürdige Funktionäre daran hindern, überhaupt ins Land einzureisen.

Kein Asyl für Saddam Hussein

Als Beispiel, was getan werden könne, um internationale Verbrecher an einer Einreise in die Schweiz zu hindern, nennt er den vor kurzem gefassten Beschluss der Schweizer Regierung, Saddam und seiner Familie auf keinen Fall Asyl zu gewähren.

"Die diplomatische Immunität ist für alle Länder ein Problem, nicht nur für die Schweiz", erklärte er. "Aber in diesem Land hat die Führung einen politischen Beschluss gefasst, als sie dem irakischen Präsidenten klar machte, dass er nicht in die Schweiz kommen könne. Das ist die einzige Lösung."

Information

Grant räumt auch ein, dass die Schweiz in mehreren Fällen gegen internationale Verbrecher vorgegangen ist, unter anderem als ein des Völkermords angeklagter Ruander erstmals ausserhalb Afrikas strafrechtlich verfolgt wurde.

Aber er macht klar, dass dies nicht ausreicht, und dass sich die Behörden sowohl auf Bundes- wie auf Kantonsebene viel zu wenig bewusst sind, was gesetzlich möglich ist und was sie unternehmen können.

Um diese Fragen bewusst zu machen, hat TRIAL ein juristisches Handbuch mit dem Titel "La lutte contre l'impunité en droit suisse" herausgegeben ("Der Kampf gegen die Straflosigkeit nach Schweizer Recht" - vorläufig nur auf Französisch erhältlich).

Bertossa und Grant haben das Buch zusammen verfasst, ausserdem haben noch ein paar weitere TRIAL-Anwälte daran mitgearbeitet. Die Veröffentlichung definiert verschiedene Straftaten, und zeigt, wie die Schweizer Gesetzgebung in diesen Fällen zur Anwendung kommen kann.

Es richtet sich auch an das wachsende Netz von Nichtregierungs-Organisationen und Opfervereinigungen, welche die Bewegungen von mutmasslichen Folterern überwachen.

"Diese Gruppen sammeln Beweise und verfolgen das Kommen und Gehen solcher Leute. Und jetzt können sie uns warnen, wenn zum Beispiel ein Missetäter zu einer UNO-Konferenz anreist", so Grant.

"Wenn wir dann überprüft haben, dass die Informationen stimmen und dass die Beweise stichhaltig sind, warten wir, bis die betreffende Person in die Schweiz kommt, und dann erheben wir Anklage. Aber danach muss die Polizei handeln."

swissinfo, Anna Nelson in Genf

Fakten

TRIAL (Track Impunity Always) kämpft gegen die Straflosigkeit von Tätern, Komplizen oder Anstiftern von Völkermord, Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschheit und Folter.

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In Kürze

Die schweizerische Gesellschaft TRIAL fordert die Regierung auf, mehr zu unternehmen, um internationale Verbrecher auf Schweizer Boden aufzuspüren und zu verhaften.

Der Gruppe gehören Menschenrechtsaktivisten, Folteropfer und Anwälte an, darunter der frühere Genfer Staatsanwalt Bernard Bertossa.

Sie klagen, dass Leute, die gegen die Menschenrechte verstossen, in der Schweiz straflos ausgehen.

Die Regierung erklärt, sie tue alles, was möglich sei, um internationale Straftäter, die Völkermord, Folter und Kriegsverbrechen begangen haben, im Rahmen ihres Justizsystems gerichtlich zu belangen.

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