Grosses Interesse an deutschen Wahlen
Konrad Mrusek, FAZ-Korrespondent für die Schweiz, freut sich ob dem grossen Interesse, das die Schweiz gegenüber den Wahlen in Deutschland zeigt.
Die Auslanddeutschen in der Schweiz haben längst brieflich abgestimmt, wenn am Sonntag die Deutschen im Inland ihren neuen Kanzler wählen.
Während in Deutschland der Kanzler-Wahlkampf in die Endphase kommt, haben die Auslanddeutschen in der Schweiz ihre Stimmzettel längst per Post abgeschickt.
Der in Norddeutschland aufgewachsene Konrad Mrusek, 55, lebt seit mehr als zehn Jahren in der Schweiz. Als Korrespondent der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) berichtet er über die Schweiz und die Vereinten Nationen in Genf.
Er ist erfreut über das grosse Interesse der Schweizerinnen und Schweizer am Wahlkampf in Deutschland.
swissinfo: Sind die in der Schweiz lebenden Deutschen erstaunt über die grosse Publizität, die der Wahlkampf in Deutschland hierzulande auslöst?
Konrad Mrusek: Nein, es erstaunt uns nicht. Der Wahlkampf ist ja zumindest in seiner Endphase wirklich spannend. Ausserdem wissen die Schweizer, wie wichtig Deutschland und der Umstand, wie es den Deutschen geht, für sie ist.
swissinfo: Hat das Interesse nicht auch mit dem Umstand zu tun, dass in der Schweiz selbst so personalisierte Wahlgefechte wie in Deutschland weitgehend fehlen?
K.M.: Die Schweiz wird seit Jahrzehnten von einer Art "Grossen Koalition" regiert. Bei solchen Mehrparteienregierungen sind Wahlen nicht so spannend.
Es ist deshalb möglich, dass die Innenpolitik den Schweizern nicht so viel Abwechslung bringt, und sie eher schauen, was sich in Deutschland abspielt.
Aber das Interesse hat auch andere Gründe. Die Schweizer messen sich ja gerne mit den Deutschen. Einerseits wollen sie wissen, wie es zugeht, wenn Schröder und Merkel die Klingen kreuzen. Andererseits mögen sie sich dann sagen: 'Wir sind da besonnener und ruhiger.'
swissinfo: Wäre das Interesse der Schweizer auch so gross, wenn es kein Fernsehen, sondern nur Zeitungen gäbe?
K.M.: Als Mitglied der schreibenden Zunft glaube ich, dass das TV viel zur Personalisierung beigetragen hat. Alle, nicht nur die Schweizer, sind stark an Personen interessiert.
swissinfo: Was sagen Schweizer den Deutschen, wenn jetzt über den Wahlkampf diskutiert wird? Hätten Merkel oder Schröder bei den Schweizern die besseren Chancen?
K.M.: Der Medienkanzler Schröder kommt auch in der Schweiz gut an. Er hat etwas staatsmännisches an sich und weiss mit den Medien umzugehen.
Frau Merkel wirkt hingegen zumindest im Fernsehen biederer und argumentiert sachlicher. Es mag sein, dass sie bei den Schweizern besser ankäme, weil die Schweizer über ein gesundes Misstrauen gegenüber telegenen Selbstdarstellern verfügen.
Ich könnte mir jedenfalls vorstellen, dass Merkel deswegen in der Schweiz ein paar Punkte mehr als in Deutschland machen würde. Nicht im Parteienvergleich, sondern im direkten Vergleich zu Schröder.
swissinfo: Ist es für in der Schweiz wohnende Deutsche nicht auch ein Wechselbad der Gefühle, wenn sie während Fussball-Meisterschaften fast angefeindet werden, um dann während Wahlen positiv in den Mittelpunkt zu rücken?
K.M.: Interesse seitens der Schweizer ist ja beide Male vorhanden. Wenn sich die Deutschen in Titelnähe kicken, gucken die Schweizer jeweils sehr wohl hin. Dasselbe gilt für Wahlkämpfe.
Nur die Reaktionen sind jeweils anders. Im Fussball drücken sie klar den Italienern die Daumen. Bei den Wahlen ist es weniger klar: Ob sich die Schweizer besser fühlen würden, wenn es den Deutschen politisch schlechter geht, glaube ich kaum.
Aus der Sicht der in der Schweiz lebenden Deutschen lässt sich sagen, dass viele Schweizer ein etwas zwiespältiges Verhältnis zu Deutschland haben. Einerseits möchten sie, dass es im Norden gut geht, damit viele Deutsche die Schweiz besuchen kommen.
Andererseits messen sie sich gerne mit den Deutschen. Und wenn diese dann zu gut sind, wie manchmal im Fussball, dann wird das den Deutschen missgönnt, auch wenn dies nur verschämt gezeigt wird.
Dieser Zwiespalt überrascht aber nicht. Grosse und Kleine haben immer ein manchmal merkwürdiges Verhältnis zueinander, wenn sie sich so nahe stehen.
swissinfo-Interview: Alexander Künzle
In Kürze
Auslanddeutsche, die beispielsweise in der Schweiz leben, müssen die Wahlunterlagen selbst beantragen, was auch über Internet geht.
Da sie brieflich wählen, müssen sie ihre Briefe per Post schon zu Beginn der Woche abschicken, an deren Wochenende dann in Deutschland die Wahlen stattfinden.
Der/die Auslanddeutsche wählt administrativ dort, wo er in Deutschland zuletzt gewohnt hat. Dort kommt sein Zettel in die Wahlurne und wird ausgezählt.
Deshalb ist nicht ersichtlich, wie die Gemeinschaft der Auslanddeutschen stimmt oder wählt, und was für ein spezifisches Wahlverhalten sie an den Tag legt.
Kinder von Auslanddeutschen, die immer im Ausland gelebt haben, sind aus diesen Gründen nicht automatisch wahlberechtigt, denn sie können keinen letzten Wohnsitz in einer deutschen Gemeinde aufweisen.

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