Wegweiser zurück zu den eigenen Wurzeln
Die Ahnenforschung erfreut sich zunehmender Beliebtheit. Aber es ist keine einfache Sache, die Spuren seiner Vorwahren zurück zu verfolgen. Der Freiburger Archivar Leonardo Broillet hat jetzt für Interessenten einen praktischen Leitfaden verfasst.
Genealogie oder Stammbaumforschung ist "in": In den Bibliotheken machen Ahnenforscher mittlerweile einen grossen Anteil aus. Im Kanton Freiburg betreiben 42% aller Bibliotheksbenutzer Stammbaumforschung, in Zürich sind es 25%.¨
Genealogie verlangt aber methodisches Vorgehen sowie gewisse Kenntnisse. Leonardo Broillet, stellvertretender freiburgischer Kantonsarchivar, hat für Hobby-Familienforscher die Einführung "Mes Aïeux!" geschrieben, "Meine Ahnen".
swissinfo.ch: In der Schweizer Ahnenforschung kommt man nicht um das Jahr 1876 herum…
Leonardo Broillet: Tatsächlich, denn in jenem Jahr verordnete der Bundesstaat den Kantonen die Führung von Zivilstandsregistern. Dort sind Geburt, Heirat und Tod aller Bürgerinnen und Bürger verzeichnet.
Die Register sind aber nicht öffentlich. Im Kanton Freiburg unterliegt das Register laut Gesetz für 120 Jahre dem Datenschutz. Deshalb fallen Forschungen anhand der Zivilstandsregistern praktisch weg.
Den Genealogen bleiben aber die Kirchenregister, sozusagen die Zivilstandsregister der Kirchen. Vereinzelt bereits im 16. Jahrhundert beginnend, sind sie bis 1900 die wichtigste Quelle für Ahnenforscher.
swissinfo.ch: Also muss man sich an die kantonalen Archive halten?
L. B. : Ja, aber man muss festhalten, dass die Kirchenregister den Kirchen gehören. In den Kantonsarchiven werden nur Kopien auf Microfilmen aufbewahrt.
Die Qualität der kirchlichen Register waren vom guten Willen des Pfarrers abhängig, ebenso von seinem Bildungsstand und seiner Gewissenhaftigkeit. Aber nicht alle Kirchenregister sind erhalten. Einige wurden beispielsweise bei einem Kirchenbrand zerstört.
swissinfo.ch: Es gibt bei den Kantonen aber auch noch andere Quellen.
L. B. : Kirchenregister sind die Hauptquellen, weil sie sehr genau sind. Ahnenforscher wollen meist wissen, wann eine Person geboren wurde, wann sie heiratete und starb. Darüber geben fast nur die Kirchenregister Auskunft.
Will man aber zusätzliche biografische Daten, muss man andere Quellen benützen, so etwa Sekundärquellen wie Steuerverzeichnisse von vor 1800. Darin haben Grundbesitzer ihre Zinsschuld gegenüber dem Grundherren festgehalten. Oft wurde der Besitz des Grundstücks mit der Auflistung von mehreren Vorgänger-Generationen bewiesen.
swissinfo.ch: Wie muss der Familienforscher in den Archiven vorgehen?
L. B. : Er muss sich vorbereiten und einige Daten mitbringen. Je genauer diese sind, desto besser kann man sich danach den Quellen annähern.
Dazu ist es notwendig, dass man sich über die Familie kundig macht, am besten anhand von Familienbüchlein, Briefen und beglaubigten Akten. Das Ziel ist die Rückverfolgung der Ahnen über die letzten 100 oder 120 Jahre.
Ist dies nicht möglich, führt nichts am Zivilstandsregister vorbei. Zwar kann man dies nicht einsehen, aber auf Verlangen kann man Akten der Vorfahren erhalten.
swissinfo.ch: In den Archiven muss man recherchieren, eine Vielzahl von Akten studieren, alte Schriften entziffern etc. Dazu braucht man viel Zeit.
L. B. : Richtig. Es hängt aber auch davon ab, wonach man sucht. Will man lediglich einige Generationen zurück verfolgen, reichen einige Tage. Wer aber weiter in die Vergangenheit gehen will und alle Personen desselben Namens in Verbindung bringen, braucht Monate.
swissinfo.ch: Ist Ihre Anleitung, die sich in erster Linie auf den Kanton Freiburg bezieht, auf für die anderen Kantone geeignet?
L. B. : Es gibt gewisse lokale Besonderheiten, aber ein Teil des Buches ist allgemein gehalten. Beispielsweise existieren überall Kirchenregister, insbesondere im christlichen Osten. Mein Buch richtet sich also auch an Auslandschweizer, die mehr über ihre Vorfahren wissen wollen.
swissinfo.ch: Was sagt die Begeisterung für die Ahnenforschung über die Gesellschaft aus?
L. B. : Das Interesse gründet teilweise darauf, dass wir in einer Gesellschaft leben, die sich wandelt und nach mehr fixen Bezugspunkten verlangt. Die Menschen leben nicht mehr im Dorf ihrer Vorfahren, sie wissen kaum mehr, woher sie stammen.
Es gibt ein Bedürfnis, die eigenen Wurzeln wieder zu finden und sich auf festen Boden setzen zu können. Dies, obwohl man mobil ist, die Eltern geschieden sind und man die Grosseltern nicht oder kaum mehr gekannt hat.
Der Autor
Der 32-jährige Leonardo Broillet ist seit letztem Jahr stellvertretender Kantonsarchivar in Freiburg.
Er hat an der Universität Mailand mittelalterliche Geschichte studiert.
Danach machte er an den Unis Bern und Lausanne einen Masterkurs in Archivkunde.
End of insertionDas Buch
Der Titel der Originalversion lautet "Mes aïeux! Guide de recherches généalogiques et biographiques aux Archives de l’Etat de Fribourg" (148 Seiten). Es liegt (bisher) nur auf Franzöisch vor.
Autor: Leonardo Broillet
Es ist im Verlag der Société d’histoire du canton de Fribourg (Historischen Gesellschaft des Kantons Freiburg, SHCF) erschienen.
Es ist in drei Teile gegliedert: Beim ersten Teil handelt es scih um eine generelle Einführung in die Ahnenforschung und Quellenkunde.
Im zweiten Teil geht es um die Suche in Archiven nach Quellen zum Erstellen einer Biographie.
Im letzten Teil hat der Autor praktische Übungen anhand konkreter Beispiele vereint, etwa das Entziffern einer alten Handschrift.
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