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Gericht muss über Genozidfrage entscheiden

Immer wieder und weltweit kämpfen armenische Menschen gegen das Vergessen der Morde an der armenischen Bevölkerung zwischen 1915 und 1917. Keystone

Vertreter türkischer Organisationen in der Schweiz müssen sich ab Dienstag vor dem Kreisgericht Bern-Laupen wegen Leugnung des Völkermordes an den Armeniern verantworten. Insgesamt sind 17 Personen der Rassen-Diskriminierung angeschuldigt.

Dieser Inhalt wurde am 01. September 2001 - 10:22 publiziert

Das Ganze begann vor sechs Jahren, erklärt Rupen Boyadjian, Vorstandsmitglied der Gesellschaft Schweiz-Armenien (GSA). Damals wandten sich türkische Organisationen an das eidgenössische Parlament, um einer Petition von in der Schweiz lebenden Armeniern entgegenzuwirken. Diese hatten die Schweiz ersucht, den Genozid zu anerkennen.

Die türkische Eingabe verlangte von den Schweizer Parlamentarierinnen und Parlamentariern, nicht auf das armenische Gesuch einzugehen. Wer von einem Genozid an den Armeniern spreche, verfälsche die historische Wahrheit, hiess es in dem Schreiben. Es sei nicht möglich von einem Genozid zu sprechen, wenn die damalige Regierung nicht die Absicht gehabt habe, die Armenier auszurotten.

In den Augen der GSA verstossen diese Argumente gegen das Schweizer Antirassismusgesetz. Deshalb hat die Gesellschaft am 24. April 1997 Klage eingereicht.

Warum diese Auseinandersetzung?

Im März 1995 fragt SP-Nationalrätin Angeline Fankhauser die Schweizer Regierung mittels Interpellation an, ob er bereit sei, den Genozid an den Armeniern zu anerkennen. Im gleichen Jahr sammelt die armenische Gemeinschaft in der Schweiz Unterschriften für eine Petition, in der um die Anerkennung des Genozids gebeten wurde.

Der Bundesrat spricht im Zusammenhang mit der Interpellation Fankhauser nur von "tragischen Ereignissen". Diese Terminologie wird von der Regierung bis heute verwendet.

Im Januar 1996 reicht die Koordinationsstelle der türkischen Verbände in der Schweiz ihrerseits eine Petition mit 4'200 Unterschriften ein. In der Petition werden die Parlamentarierinnen und Parlamentarier aufgefordert, der Kampagne der Armenier keine Beachtung zu schenken.

Im vergangenen März lehnt der Nationalrat schliesslich ein Postulat von Nationalrat Josef Zysiadis knapp ab, das den Bundesrat aufforderte, den Genozid öffentlich anzuerkennen.

Dazwischen liegen juristische Auseinandersetzungen, weil die GSA gegen türkische Verbände Klage wegen Rassendiskriminierung einleitet. Nun beginnt am 4. September der Prozess vor dem zuständigen Strafgericht 16 Bern-Laupen. Das Urteil wird für den 14. September erwartet.

Eine Premiere

Rund Sechs Monate nach der Ablehnung im Nationalrat wird die Frage nach der Anerkennung des Völkermords an den Armeniern also erneut verhandelt.

Die Aufgabe der Justiz wird keine einfache sein, denn der Fall hat eine starke politische Komponente und ist zudem eine Premiere. Das Antirassismus-Gesetz ist bisher nämlich nur in Fällen von Leugnung des Holocaust zur Anwendung gekommen.

Am Gericht liegt es nun unter anderem zu entscheiden, ob die türkische Petition diskriminierend im Sinne des Antirassismus-Gesetzes ist oder nicht. Die GSA ist bereit, die Klage allenfalls bis vors oberste Schweizer Gericht, das Bundesgericht, zu ziehen.

Die offizielle Schweiz hat seit 1995 sämtliche Vorstösse um Anerkennung des Genozids an der armenischen Bevölkerung abgelehnt.

swissinfo und Agenturen

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