Freispruch oder Gefängnis im Ausschaffungs-Prozess?
Ein Arzt und drei Polizisten haben sich am Dienstag (26.06.) am Bezirksgericht Bülach (ZH) wegen des Todes eines Ausschaffungs-Häftlings verantworten müssen. Der Ankläger fordert je fünf Monate Gefängnis wegen fahrlässiger Tötung, die Verteidigung volle Freisprüche.
Im Strafprozess gegen drei Berner Kantonspolizisten und einen Arzt um den Tod eines Ausschaffungshäftlings im März 1999 haben die Verteidiger am Dienstag (26.06.) in Bülach (ZH) volle Freisprüche gefordert. Die Anklage und ein Medizingutachten wurden zerzaust. Das Urteil wird kommende Woche eröffnet.
Der Ankläger hatte für alle Angeklagten wegen fahrlässiger Tötung je fünf Monate Gefängnis bedingt verlangt. Die Polizisten hatten am 3. März 1999 in einer Zelle im Flughafen Zürich-Kloten den bereits in Bern gefesselten, in einer Zwangsjacke steckenden 27-jährigen Palästinenser zur Zwangsausschaffung nach Gaza via Kairo geknebelt. Um ihn am Schreien zu hindern, wurde sein Mund mit Klebeband verklebt. Der Mann starb wenig später.
Unterlassene Hilfeleistung?
Der Ankläger warf den Polizisten vor, sie hätten zu spät reagiert und zur Lebensrettung zu wenig unternommen. Der Arzt habe zu wenig gut kontrolliert, ob der Mann genug Atemluft bekomme. Der Arzt und ein Polizist waren aus gesundheitlichen Gründen von der Teilnahme an der unter starker Polizeipräsenz stattfinden Verhandlung dispensiert.
Der Anwalt der Hinterbliebenen des Häftlings forderte Schuldsprüche und für die Familie des Toten insgesamt 146'000 Franken Genugtuung. Den Angeklagten warf er vor, ihre Aussagen abgesprochen zu haben. Über die Ausschaffungspraxis zeigte er sich schockiert.
Medizin-Gutachten zerzaust
Zwei am Prozess teilnehmende Polizisten sagten, sie hätten beim Verkleben des Mundes und beim Transport des Häftlings zum Bus, der ihn zum Flugzeug bringen sollte, nichts Aussergewöhnliches bemerkt. Die Verteidigung bezeichnete den Tod eines Menschen in Obhut staatlicher Organe als bedauerlich. Der Tod des Häftlings sei für die Polizisten aber nicht vorhersehbar gewesen. Ersticken als Todesursache wurde angezweifelt. Es hätte sich auch um eine akute Herzkrise handeln können, zumal der Palästinenser an einer krankhaften Veränderung des Herzens gelitten habe.
Der Anwalt des Arztes kritisierte das rechtsmedizinische Gutachten zur Todesursache als "nicht schlüssig und nicht richtig". Bei der Untersuchung der Leiche habe es gravierende Versäumnisse gegeben. Er verlangte ein Obergutachten. Sein Mandant sei von den Polizeibeamten spontan zugezogen worden, als er bei der Flughafenpolizei einen anderen Ausschaffungshäftling betreute. Die Kontrolle der Atmung habe er korrekt durchgeführt.
Vor Verhandlungsbeginn hatten vor dem Bezirksgebäude gegen 50 Leute der Gruppe "augenauf" friedlich gegen Zwangsausschaffungen demonstriert.
swissinfo und Agenturen

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