Frankreich: Erfolg von Le Pen erstaunt die Schweiz
Der rechtsextreme Le Pen und Amtsinhaber Chirac kämpfen um das Präsidentenamt. Jospin verlässt die Politik. Parteien und Presse in der Schweiz sind beunruhigt.
Frankreich wird von einem politischen Erdbeben erschüttert: Am 5. Mai kommt es zu einem Duell zwischen dem Chef der rechtsextremen Nationalen Front (FN), Jean-Marie Le Pen, und Amtsinhaber Jacques Chirac. Es ist das erste Mal, dass in Frankreich ein rechtsradikaler Kandidat bei der Stichwahl um die Präsidentschaft mitmischt.
Nach seiner Niederlage erklärte der Sozialist Lionel Jospin noch am Sonntagabend seinen Rückzug aus der Politik.
Die Zahl der Nichtwähler war noch nie so hoch. Etwa 28,5 Prozent der 40 Millionen Wahlberechtigten sind nach den bisherigen Schätzungen von den Urnen ferngeblieben.
Franzosen in der Schweiz wollten es anders
Die französischen Stimmberechtigten, die in der Schweiz leben, können offensichtlich mit Jean-Marie Le Pen nicht viel anfangen. Die meisten Stimmen aus der Schweiz gingen an Jacques Chirac und Lionel Jospin.
Le Pen rangiert weit abgeschlagen auf Rang 5. In der Schweiz findet sich die grösste Ausland-Franzosen Kolonie. Diese gilt politisch als eher rechts.
Grenzregionen zur Schweiz wählen rechts
In den Grenzregionen zur Schweiz hat Le Pen den Sieg davongetragen. Sowohl im Elsass als auch in der Franche-Comté und in Rhône-Alpes lag er an der Spitze, wie die Wahlbehörden in der Nacht mitteilten.
In der Region Rhône-Alpes holte der Chef der Nationalen Front in der ersten Runde der französischen Präsidentschaftswahl 19,83 Prozent der Stimmen. Amtsinhaber Jacques Chirac brachte es auf 17,12 Prozent, Premier Lionel Jospin musste sich mit schwachen 13,82 Prozent begnügen.
In der Franche-Comté entschieden sich sogar 19,98 Prozent der Wähler für Le Pen. Damit wurde der Linke Jean-Pierre Chevènement in seinem eigenen Gebiet geschlagen.
Wenig überraschend ist Le Pens Sieg im Elsass, das der FN traditionell gut gesinnt ist. Diesmal schaffte Le Pen 23,44 Prozent der Stimmen. Das sind allerdings etwas weniger als im Rekordjahr 1995, als er es gar auf 25,41 Prozent gebracht hatte.
Schweizer Reaktionen: Beunruhigung
Für den Sprecher der Schweizer Sozialdemokraten, Jean-Philippe Jeannerat, zeigt Le Pens Erfolg, dass die Nationale Front nach wie vor über ein intaktes, aktives Netz verfügt. Die extreme Rechte sei aber nicht nur in Frankreich auf dem Vormarsch, gab Jeannerat zu bedenken.
CVP-Fraktionschef Jean-Philippe Maître führt Le Pens Erfolg auf die vielen Protestwähler zurück. Immer mehr Stimmberechtigte würden sich von den grossen Parteien abwenden. Die Niederlage der Linken sei auf die schwammige Politik der Sozialisten zurückzuführen. Auch Maître ist der Meinung, dass der Vormarsch der Rechtsparteien kein rein französisches Phänomen ist. Schweizer Wähler würden von der SVP angesprochen wie Wähler in Frankreich von Le Pen.
FDP-Präsident Gerold Bührer bezeichnete Le Pens Resultat als "gefährliches Signal", das auf ein enormes Frustrationspotential in der französischen Wählerschaft hinweise. Befragt zu Parallelen mit er Schweiz sagte Bührer, man müsse differenzieren können. Nur einzelne Teile der SVP seien mit Le Pens Partei vergleichbar.
Die SVP selber lehnte einen Kommentar zum Wahlergebnis ab. "Das betrifft uns nicht", sagte Generalsekretär Gregor Rutz. "Wir kümmern uns ausschliesslich um die Schweizer Politik."
Pressekommentare in der Schweiz
Frankreichs Wähler haben den etablierten Parteien eine schallende Ohrfeige verpasst - so lautet der Tenor in den Deutschschweizer Presse-Kommentaren vom Montag. Le Pen sei von einer Welle des Protests getragen worden, schreibt etwa der "Tages-Anzeiger". Die Spitzenkandidaten Chirac und Jospin seien daran allerdings nicht unschuldig.
So habe Chirac im Wahlkampf alles Gewicht auf das Thema der angeblich fehlenden "inneren Sicherheit" gelegt und damit Le Pen zugedient. Jospin seinerseits habe einen "sprunghaften und blassen Wahlkampf" geführt, der alle Visionen habe vermissen lassen.
Rattenfänger mit Tradition
Das "St. Galler Tagblatt" kommt zum Schluss, jedem vernünftig Denkenden erscheine Le Pen als Rattenfänger. Doch in Frankreich habe es schon immer eine stark rechtsorientierte populistische Strömung gegeben.
"Der fremdenfeindliche Le Pen gegen den notorischen Mauschler Chirac" - so sieht die "Neue Luzerner Zeitung" die Ausgangslage für die Stichwahl. Ausgerechnet in Frankreich, das sich am heftigsten gegen Jörg Haiders Regierungs-Beteiligung in Wien gestemmt habe, bekomme Le Pen eine Plattform für seine unappetitlichen Parolen.
Ohrfeige für Politkaste
Die Politkaste in Frankreich habe die schallende Ohrfeige verdient, findet die "Berner Zeitung". Hätte Le Pen die Stichwahl nicht geschafft, müssten die Franzosen nämlich zwischen zwei Politkern wählen, "von denen sie - gelinde gesagt - die Nase voll haben".
Der Berner "Bund" dagegen betont, die Schlappe von Regierungschef Jospin sei - gemessen an dessen Leistungsbilanz - unverdient. Vor allem in der Wirtschaftspolitik habe er Erfolge vorzuweisen. Doch Jospin "konnte nicht aus seiner Haut heraus, er blieb der blasse Technokrat".
Demonstrationen in Frankreich
Tausende Menschen sind in der Nacht zum Montag in Frankreich auf die Strasse gegangen, um gegen den Einzug des rechtsradikalen Politikers Le Pen in die zweite Runde der Präsidentschaftswahl zu protestieren.
In den Strassen von Paris sammelten sich bis zu 10'000 Demonstranten, viele hielten Schilder mit der Aufschrift "Le Pen. Schande.". Sie riefen "Ich schäme mich" und "Le Pen ist ein Faschist". Die Polizei setzte Tränengas ein, nachdem eine kleine Gruppe von Demonstranten an der Place de la Concorde Metallgitter umher warfen.
Auch in Lille, Lyon, Bordeaux und Grenoble gab es spontane Kundgebungen. In Strassburg riefen etwa 4000 Demonstranten "Le Pen, du bist am Ende. Die Franzosen gehen auf die Strasse."
swissinfo und Agenturen

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