Eine Auslandschweizerin repräsentiert El Salvador
Die Aussenministerin des zentralamerikanischen Landes El Salvador war Ehrengast am 81. Auslandschweizerkongress in Crans Montana.
swissinfo hat sich mit Maria Eugenia Brizuela de Avila unterhalten.
Aussenministerin Brizuela de Ávila nahm - nebst dem Besuch bei ihrer Schweizer Amtskollegin Micheline Calmy-Rey - auch am 81. Auslandschweizer-Kongress in Crans Montana teil.
Sie hat einen Master of Business Administration, ein Lizentiat in Jurisprudenz, einen Diplomabschluss an der Sorbonne in Paris in französischer Kultur und Zivilisation sowie einen Abschluss in Versicherungs-Administration des schweizerischen Ausbildungszentrums für Versicherungen in Zürich.
Mit Stolz ist sie Doppelbürgerin von zwei Staaten, die sich mit völlig unterschiedlichen Realitäten konfrontiert sehen. Und es erfüllt sie mit Genugtuung, dass ihr entferntes Heimatland die Entwicklungs-Bestrebungen ihres Landes El Salvador unterstützt.
Sie glaubt an die Zukunft des Schweizer Finanzplatzes und des Bankgeheimnisses, ist jedoch auch eine Verfechterin des Informationszugangs, wenn dadurch Missbräuche des Systems für kriminelle oder zweifelhafte Zwecke vermieden werden können. Sie macht Gebrauch vom brieflichen Stimmrecht und verfolgt das Geschehen in der Schweiz genau.
Zuvorkommend und asiatisch gekleidet (sie hat soeben Taiwan einen offiziellen Besuch abgestattet) empfing sie swissinfo in Crans Montana.
swissinfo: Welche Beziehung haben Sie sowohl persönlich als auch als Aussenministerin von El Salvador zur Schweiz?
Brizuela de Ávila: Auf persönlicher Ebene ist diese Beziehung von der Sympathie geprägt, die ich von meinem Grossvater und meiner Mutter übernommen habe. Sie gilt einer grossen Vision von vier Kulturen, vier Sprachen, vier Denkweisen, die seit Jahrhunderten harmonisch zusammenleben. Als Aussenministerin hatte ich die Möglichkeit, den Beginn des Entwicklungsprozesses eines derart kleinen Landes wie dem meinen, nämlich El Salvador, mitzuerleben. Da ich Schweizer Blut habe, setze ich mich für das Beste für mein Land ein.
Hatten Sie bei Ihrem Treffen mit der Aussenministerin Micheline Calmy-Rey das Gefühl, mit einer Schweizer Landsmännin zu sprechen?
Ja, absolut, und zwar vom ersten Moment an. Sogar Bundespräsident Pascal Couchepin sagte im Scherz zu mir: "Die Schweiz ist in der glücklichen Lage, zwei Aussenministerinnen zu haben." Man hört nie auf, sein Herz in der Schweiz zu haben und ich glaube, dass wir Auslandschweizer auf der ganzen Welt Botschafter sind.
Besuchen Sie ihren Heimatort oft?
Leider nein. Mein Heimatort ist sehr weit weg von El Salvador. Juan Boillat, mein Grossvater, kam 1920 nach El Salvador und stammte Beschreibungen zufolge aus einer landschaftlich schön gelegenen Gemeinde mit einer Strasse und sehr vielen Kühen. Der Ort heisst La Chaux-des-Breuleux und liegt im Kanton Jura.
Ich war noch sehr klein, als ich das erste Mal dort war und ich sah überall Plakate mit der Aufschrift "Jura libre". Damals wollten sich doch die Bewohner vom Kanton Bern trennen, nicht wahr? Aus dieser Zeit stammen auch meine Erinnerungen an diese Strasse.
Am 81. Auslandschweizer-Kongress wurde ein wichtiges und schwieriges Thema zur Sprache gebracht. Welches Bild hat man in El Salvador vom Finanzplatz Schweiz?
Da die Schweiz ein Finanzplatz ersten Ranges ist, diente sie uns schon immer als Modell, das wir anstreben. Mit der strikten Einhaltung der Basler Vereinbarungen als Grundlage ist El Salvador heute Sitz der drei grössten Banken Zentralamerikas.
Es ist äusserst wichtig zu sehen, dass das Vertrauen, das die übrige Welt dem Finanzplatz Schweiz entgegenbringt, eine Folge seiner gesetzlichen Bestimmungen, seiner Zuverlässigkeit und der strikt eingesetzten Überwachungsinstrumente ist.
Sind Sie persönlich eine Befürworterin des Bankgeheimnisses oder lehnen Sie es ab?
Für die Entwicklung eines Finanzplatzes und des Bankensystems erachte ich das Bankgeheimnis als unerlässlich. Aber angesichts der realen Bedrohungen einer modernen Gesellschaft wie der unsrigen muss der Informationszugang immer gewährleistet sein.
Damit die Finanzierung terroristischer oder gesetzlich verbotener Aktivitäten vermieden werden kann, ist der Zugang zu den benötigten Informationen in einem soliden Rechtssystem unumgänglich und lebenswichtig. Dadurch wird sichergestellt, dass Kriminelle oder skrupellose Personen, die das Image eines während Jahren geschaffenen Systems missbrauchen und schädigen, nicht ungeschoren davonkommen.
16 Kandidaten der Fünften Schweiz haben sich für die nächsten Wahlen im Oktober aufstellen lassen. Hätten Sie auch einmal Lust auf eine Kandidatur?
Die Tatsache, dass derart viele Personen aus der Fünften Schweiz für das neue Parlament kandidieren, führt uns eines deutlich vor Augen: Die Schweiz von heute ist dynamisch und Teil einer globalisierten Welt.
Die aktive Teilnahme der Auslandschweizer besteht darin, neue Möglichkeiten für eine stärkere Einbindung der Schweiz in die übrige Welt zu schaffen. Was meine Person betrifft: Ich stehe gegenwärtig im Dienst der Regierung von El Salvador.
Welches sind zur Zeit die Hauptprobleme von El Salvador, und wie könnte die Schweiz zu deren Lösung beitragen?
Wir haben seit der Unterzeichnung des Friedensabkommens von 1992 Fortschritte erzielt und die extreme Armut in knapp 10 Jahren halbiert. Dennoch müssen wir die Armutsbekämpfung durch die Schaffung von Arbeitsplätzen weiterführen, die Einkommensmöglichkeiten für ein würdiges Leben und eine bessere Zukunft bieten.
Die Anstrengungen El Salvadors wurden durch die internationale Zusammenarbeit unterstützt. Die Schweiz konzentrierte sich einerseits auf die technische Unterstützung und engagierte sich andererseits für die Öffnung der Märkte und die Unternehmensförderung.
El Salvador leidet jedoch unter Naturkatastrophen und wird von Erdbeben, Wirbelstürmen und Dürren heimgesucht. 2001 gab es innerhalb eines Monats zwei Erdbeben und 10'000 Nachbeben. Ein Fünftel der salvadorianischen Bevölkerung wurde obdachlos. Die Schweiz bot humanitäre Hilfe und beteiligte sich am Wiederaufbau von vier äusserst stark verwüsteten Gemeinden.
Ich glaube, so gesehen haben wir eine Bindung zu einer solidarischen Schweiz, die einem Land Hand bietet, das sich für sein eigenes Weiterkommen einsetzt. Im Fall von Naturkatastrophen gewährt sie humanitäre Hilfe, ansonsten ermöglicht sie diesem Land mittleren Einkommens auf der Ebene der Entwicklungs-Zusammenarbeit Technologietransfer, Stipendien und technische Unterstützung.
Die Schweiz ist nun Mitglied der UNO. Wie werten Sie diese Mitgliedschaft?
Wir glauben, die Vollmitgliedschaft der Schweiz ist von grosser Bedeutung; sie signalisiert einen echten Beweis für Solidarität und Kompromissfähigkeit.
Im Dezember werden wir in Genf am Weltgipfel über die Informations-Gesellschaft teilnehmen, an dem auch die Schweiz gut vertreten sein wird. Diese Art von Unterstützung erwarten wir eigentlich von allen Ländern, damit die internationale Gemeinschaft gemeinsam eine bessere Welt schaffen kann.
swissinfo-Interview: Juan Espinoza, Crans Montana
(Aus dem Spanischen übersetzt von Caroline Flubacher)
Fakten
María Eugenia Brizuela de Ávila wurde 1956 geboren und hat drei Kinder.
In El Salvador war sie in Privatunternehmen in verschiedenen leitenden Stellungen tätig.
In Kürze
El Salvador ist das kleinste und am dichtesten besiedelte Land Zentralamerikas (21'000 km2 mit 6,1 Mio. Einwohner).
Es wird oft von Erdbeben, Überschwemmungen, Erdrutschen und Dürren heimgesucht.
Das Erdbeben von 2001 forderte über 1000 Menschenleben und machte 330'000 Personen obdachlos.
Seit 1992, als ein Friedensabkommen zwischen der FMLN-Guerrilla und der Regierung unterzeichnet wurde, ist ein demokratischer Konsolidierungs-Prozess in Gang.
Exportiert werden Kaffee und Zuckerrohr. Geschenk- und Geldsendungen von Landsleuten aus dem Ausland sind für die schwache Wirtschaft eine Stütze.
Die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) unterstützt Projekte im Bereich der Prävention sowie Projekte zur Ausbildung von Fachleuten, zur Durchführung von Risikoanalysen und für Schutzverbauungen gegen Naturkatastrophen.
Das Staatssekretariat für Wirtschaft (seco) fördert gleichzeitig Programme für "saubere" Technologien und unterstützt kleine und mittlere Unternehmen.
Die Schweizer Kooperation mit El Salvador beläuft sich auf 5 Mio. Franken pro Jahr.
Der Handel zwischen den Ländern ist sehr gering: Die Schweiz exportierte im Jahre 2001 Waren im Wert von 26,9 Mio. Franken, während sich der Import salvadorianischer Güter (davon 95% aus dem Agrarbereich) auf 2,9 Mio. Franken belief.
Die Investitionen aus der Schweiz betrugen im Jahr 2000 13,4 Mio. Franken.
Nestlé ist das einzige bedeutende Schweizer Unternehmen in El Salvador.

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