Diplomatisches Scharmützel
Chile hat seine Botschafterin aus der Schweiz zurückgerufen. Es geht um den Fall eines flüchtigen Guerilleros.
Dieselbe Anweisung wie die Vertreterin Santiagos in Bern, Alejandra Faulbaum, erhielt auch der Botschafter in Kuba, German Guerrero. Dieser Entscheid soll als "Notwendigkeit für einen Dialog mit den Botschaftern" verstanden werden, erklärte die chilenische Aussenministerin Soledad Alvear gegenüber dem nationalen Fernsehen.
Die chilenische Regierung will mehr Informationen über Links-Guerilleros, die seit 1996 auf der Flucht sind. Vier Guerilleros der "Patriotischen Front Manuel Rodriguez" (FPMR) waren im Dezember 1996 mit einem Helikopter aus dem Staatssicherheits-Gefängnis in Santiago geflüchtet. Einer der vier, Patricio Ortiz Montenegro, floh 1997 in die Schweiz.
Geständnis erzwungen
In Chile war Ortiz von einem Militärgericht wegen der Tötung eines Polizisten zu zehn Jahren Haft verurteilt worden. Seine Anwälte stritten die Beschuldigungen ab und sprachen von einem unter Folter erzwungenen Geständnis.
Nach seiner Flucht stellte Ortiz im Juli 1997 in der Schweiz ein Asylgesuch. Dieses wurde abgelehnt, und Ortiz sass für ein Jahr in Dielsdorf (ZH) in Ausschaffungshaft. Nach einer breiten öffentlichen Kampagne für Ortiz lehnte die Schweiz schliesslich seine Auslieferung an Chile ab und gewährte ihm die vorläufige Aufnahme.
Beziehungen belastet
Dies belastete im Herbst 1998 die diplomatischen Beziehungen zwischen der Schweiz und Chile. Die chilenische Vertretung in der Schweiz wurde in der Folge für vier Monate zurückgerufen. Die rechtsgerichtete chilenische Opposition forderte gar den Abbruch der diplomatischen Beziehungen mit Bern.
Der Fall Ortiz wird derzeit von der Asyl-Rekurskommission überprüft. Die drei übrigen geflohenen Guerilleros sollen in Lateinamerika geblieben sein. Während zwei angeblich über Kuba gereist waren, wurde einer vor einem Monat in Brasilien verhaftet.
EDA um Informationen gebeten
Weil sich Patricio Ortiz in der Schweiz befindet, haben die chilenischen Behörden das Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) Anfang Februar um Informationen gebeten.
Gegenüber swissinfo erklärte EDA-Sprecher Livio Zanolari, eine offizielle Antwort der Schweiz liege noch nicht vor. "Es müssen wahrscheinlich noch gewisse Sachen abgeklärt werden", so der EDA-Sprecher. Ob das im Zusammenhang steht mit der derzeitigen Überprüfung des Falls Ortiz durch die Asyl-Rekurskommission, weiss Zanolari nicht.
EDA: Keine Verstimmung
Von Seiten der chilenischen Botschaft in Bern hiess es, es sei nicht bekannt, wie lange die Botschafterin abwesend sein werde. Zuvor hatte die chilenische Aussenministerin Alvear die Antworten der Behörden beider Länder über den Verbleib der flüchtigen Guerilleros als "zumindest unzureichend" kritisiert. Eine Belastung der Beziehungen zu den beiden Ländern schloss die Ministerin jedoch aus.
So sieht es auch EDA-Sprecher Zanolari. Von einer Verstimmung zwischen Chile und der Schweiz könne nicht die Rede sein. "Von uns ausgesehen hat dieser Fall keine Auswirkungen auf die bilateralen Beziehungen zwischen den beiden Ländern", so Zanolari zu swissinfo.
Jean-Michel Berthoud und Agenturen

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