Die Schweiz wird UNO-Mitglied
Die Schweiz wird als 190. Land der UNO beitreten. 54,6 Prozent der Schweizer Stimmberechtigten sagten dazu Ja. Die Abstimmung entschied jedoch ein Kanton: 12 sagten Ja, 11 Nein.
Verglichen mit anderen Volks-Initiativen war der Entscheid des Volkes deutlich: 54,6 Prozent der Stimmenden befanden, die Schweiz solle der UNO beitreten.
Die pragmatischen und rationalen Argumente der Regierung und der Pro-Komitees überzeugten die Mehrheit der Stimmbürgerinnen und Stimmbürger. Sagten bei der letzten UNO-Abstimmung vor 16 Jahren erst 25 Prozent Ja, war es diesmal eine komfortable Mehrheit.
Die Frage bewegte die Schweiz, dies zeigte sich in der recht hohen Stimmbeteiligung von 57,6 Prozent. Zum Vergleich: Bei der letzten UNO-Abstimmung gingen rund 50 Prozent, bei der Abstimmung über den Beitritt zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) vor 10 Jahren jedoch 78 Prozent der Stimmberechtigten zur Urne.
Trotz der deutlichen Zustimmung war der Sonntagnachmittag eine Zitterpartie, denn nötig für den UNO-Beitritt war nicht nur die Mehrheit der Stimmenden, sondern auch die Mehrheit der Kantone. Schliesslich gab ein einziger Kanton den Ausschlag: 12 stimmten zu, 11 lehnten ab. Dabei hat jeder der 20 Kantone eine Standes-Stimme, die 6 Halbkantone je eine halbe.
Westschweiz Ja, Ostschweiz Nein
Die Kantone der Westschweiz haben geschlossen für einen UNO-Beitritt gestimmt. Am grössten ist die Zustimmung im Kanton Genf: Dort, wo viele UNO-Organisationen angesiedelt sind, sagten zwei von drei Stimmbürgern Ja.
Ebenfalls für eine Öffnung stimmten die grossen Zentren Zürich, Bern und Basel. Die Bevölkerung im Mittelland ist gespalten: Im Kanton Solothurn reichte es für 52,9 Prozent Ja-Stimmen-Anteil, im Aargau überwogen die Nein-Stimmenden mit 51,5 Prozent.
Zug und Luzern - die beiden "urbansten" Kantone der Innerschweiz - hiessen als einzige der Zentralschweizer Kantone die Initiative gut.
Ein klares Verdikt gegen den UNO-Beitritt kam aus der Ostschweiz und aus dem Tessin. Das gegnerische Lager wurde wie vor 16 Jahren von Appenzell-Innerrhoden angeführt. Hier wurde die Vorlage mit 67,5 Prozent Nein abgelehnt.
SVP - und Landbevölkerung
Gesamtschweizerisch sagten 45,4 Prozent Nein, obgleich von den Regierungs-Parteien bloss die Schweizerische Volkspartei (SVP) die Nein-Parole vertreten hatte. Die Neutralität werde verletzt, die Schweiz verliere ihre Souveränität - die Argumente der Gegnerschaft verfingen bei mehr Personen als dem Wählerpotential der SVP. Besonders die ländliche Bevölkerung sagte Nein.
Schweiz in der Völkerfamilie
Nationalrats-Präsidentin Liliane Maury Pasquier und Ständerats-Präsident Anton Cottier haben mit Freude auf das Ja reagiert. Dies bedeute den Schritt der Schweiz in die Völkerfamilie, heisst es in einer gemeinsamen Medienmitteilung. Erfreut zeigte sich auch UNO-Gereralsekretär Kofi Annan.
Nach Meinung der Regierung hat die Schweiz einen grossen Abstimmungssonntag hinter sich. Sie habe sich mit dem UNO-Beitritt ein neues aussenpolitisches Instrument beschafft.
Bundespräsident Kaspar Villiger erklärte, die Schweiz verfüge jetzt über ein neues internationales Forum, auf dem sie ihre Werte, ihre Solidarität und Neutralität erklären könne. Das knappe Ständemehr sei mit der Sachfrage UNO allein nicht zu deuten. Es stecke dahinter ein Malaise, das zu analysieren sei.
Bruno Frick, Mitglied der aussenpolitischen Kommission des Ständerats und Mitstreiter für einen UNO-Beitritt, war in einer ersten Reaktion gegenüber Schweizer Radio DRS erleichtert über das Resultat. Den grossen Anteil der Nein-Sager begründet er mit dem Misstrauen vieler gegen Behörden und Staat. Er verweist auf die ewigen Geldnöte der Expo und das Swissair-Debakel.
Kampf für eine selbstbestimmte Schweiz geht weiter
Der SVP-Präsident und Gegner der Vorlage Ueli Maurer bedauert den Entscheid, spricht aber von einem "Achtungs-Erfolg". Die Schweiz habe mit dem Ja "etwas Wesentliches aufgegegeben, nämlich ihre Neutralität". Das sei "nicht ein guter Schritt für das Land".
Die SVP habe kein Nein des Stimmvolks erwarten können, da sie ja ganz allein gegen den Bundesrat, die übrigen Parteien und fast die ganzen Medien gestanden sei, sagte Maurer.
Der Populist Christoph Blocher betonte, das Resultat werde "wirtschaftliche und freiheitliche Folgen" haben. Zahlen müssten die Schweizer und Schweizerinnen.
Hans Fehr, Koordinator des Gegnerkomitees, hat angekündigt, den Kampf für eine selbstbestimmte Schweiz unvermindert weiterzuführen.
Ständemehr: Gewichtiger Föderalismus
Um ein Haar wäre der UNO-Beitritt also - trotz dem Ja der Stimmenden - an der Mehrheit der Kantone gescheitert. Das Ständemehr sorgt immer wieder für heftige Diskussionen. Denn mit diesem Element des Föderalismus wird der demokratische Ansatz "ein Mensch, eine Stimme" relativiert.
Vom Ständemehr benachteiligt werden neben den grossen Kantonen Zürich und Bern auch die urbanen Zentren sowie die Romandie. Eine Stimme aus dem Kanton Appenzell-Innerrhoden hat derzeit etwa das 37fache Gewicht einer Zürcher Stimme, eine Urner Stimme wiegt etwa soviel wie 14 aus der Waadt.
Vollmitgliedschaft - mit Rechten und Pflichten
Bisher hatte die Schweiz in der UNO einen Beobachterstatus: Wollte sie beispielsweise an der Generalversammlung das Wort ergreifen, musste sie erst sicherstellen, dass kein Mitglied der UNO dagegen ist.
Die Schweiz war bereits Vollmitglied des Internationalen Gerichtshofes. Seit 10 Jahren unterstützt sie autonom die Wirtschafts-Sanktionen, welche die UNO beschliesst. Sie gehört allen Spezial-Organisationen der UNO an und beteiligt sich an Fonds, Programmen und Hilfswerken. Die Schweiz ist seit 1992 auch Mitglied der Bretton Woods Institutionen, das heisst der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds.
Insgesamt zahlt die Schweiz seit längerem jährlich fast eine halbe Milliarde Franken an das UNO-System. Der Beitritt zur UNO als Vollmitglied kostet gemäss der Regierung zusätzlich - je nach Wechselkurs - zwischen 50 und 60 Mio. Franken.
Neben dem Recht, auf allen Ebenen mitzubestimmen, folgern aus dem UNO-Beitritt auch Pflichten, so die automatische Umsetzung der UNO-Sanktionen. Die Schweiz wäre hingegen nicht verpflichtet, sich an kriegerischen Aktionen zu beteiligen und wäre auch nicht gezwungen, Blauhelme zu stellen.
Eva Herrmann und Agenturen

In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Diskutieren Sie mit!