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Die Schweiz sagt zweimal Ja

Gentechnologie: Die Schweiz will eine fünfjährige Denkpause. Keystone

Alle Kantone haben die Gentechfrei-Initiative deutlich angenommen. Der Ja-Stimmenanteil beträgt 55,7%.

Dieser Inhalt wurde am 27. November 2005 publiziert

Mit einem Vorsprung von rund 23'000 Stimmen hat das Volk der Änderung des Arbeitsgesetzes zugestimmt.

Schweizer Bauern dürfen während fünf Jahren unter keinen Umständen Pflanzen anbauen oder Tiere halten, die gentechnisch verändert sind. Volk und Stände haben am Wochenende dieses Moratorium mit grossem Mehr gutgeheissen.

In den grösseren Bahnhöfen und in den Flughäfen müssen keine Läden sonntags dicht machen. Die urbane Schweiz hat das gewerkschaftlich-kirchliche Referendum gegen eine entsprechende Änderung des Arbeitsgesetzes knapp gebodigt.

Die von Konsumentenschützern, Umweltverbänden und Bauernorganisationen lancierte Volksinitiative "für Lebensmittel aus gentechnikfreier Landwirtschaft" wurde mit rund 1'112'400 Ja (55,7%) gegen 896'400 Nein angenommen.

Die Stimmbeteiligung beträgt 42%. lag damit deutlich tiefer als bei den vorangegangenen beiden Urnengängen mit euroapolitischem Bezug.

Auch "Chemiekantone" dafür

Recht erhielt damit das links-grün-bäuerliche Lager, für das eine GVO-freie Produktion nicht nur ein legitimes Anliegen der Konsumenten, sondern auch eine Chance für die Schweizer Bauern im Wettbewerb ist.

Klar geschlagen geben mussten sich der Bundesrat, die Parlamentsmehrheit und die bürgerlichen Parteien. Sie hatten mit dem Hinweis auf eine bereits sehr strenge Gesetzgebung vor allem vor einer Schwächung des Forschungsplatzes gewarnt.

Besonders gut kam die Initiative in der Romandie an. Weitaus am deutlichsten angenommen wurde sie mit 75,9% im Kanton Jura. Sogar die "Chemiekantone" Basel-Stadt und Basel-Landschaft hiessen das Moratorium mit 50,8 bzw. 50,7% gut.

Die Gentechfrei-Initiative ist erst das 15. Volksbegehren, das seit Einführung des Initiativrechts auf Bundesebene 1891 an der Urne angenommen worden ist. Es ist die zweite Volksinitiative, welche die Zustimmung aller Stände erhielt.

Ja zum Sonntagsverkauf

Das Schweizer Volk will nicht, dass der Sonntagsverkauf in Bahnhöfen und Flughäfen eingeschränkt wird. Dank dem Übergewicht der Städte hat es mit knappem Mehr die Gesetzesänderung angenommen, die den Status quo legalisiert.

Am Ende entschieden etwa 23'000 Stimmen. Die Anpassung des Arbeitsgesetzes wurde mit rund 1'026'500 Ja (50,6%) gegen 1'003'500 Nein gutgeheissen. Das Ständemehr war nicht verlangt. Mit nur 7 zustimmenden Kantonen wäre es aber klar verfehlt worden.

Die städtischen Kantone gaben schliesslich den Ausschlag. Am deutlichsten stimmte mit 62,8% der Kanton Zürich zu. Im übrigen hiessen nur Basel-Stadt, Basel-Landschaft , Genf, Zug, Bern und der Aargau die Gesetzesänderung gut.

Stark aber erfolglos war der Widerstand auf dem Land und insbesondere in den katholisch geprägten Kantonen.

Bei einem Nein hätten rund 150 Läden in grösseren Bahnhöfen und in Flughäfen sonntags schliessen müssen. Nach dem geltenden Gesetz dürften sie nämlich am Sonntag kein Personal beschäftigen, weil sie nicht ausschliesslich die vom Bundesgericht umschriebenen Waren und Dienstleistungen für den Reisendenbedarf anbieten.

Die Gewerkschaften hatten das Referendum ergriffen, denn sie befürchteten - wie die Kirchen - ein Signal zu immer mehr Sonntagsarbeit auf Kosten der Arbeitnehmenden und der Familien. Stärker wog das Argument, der Sonntagsverkauf entspreche einem Bedürfnis, schaffe Arbeitsplätze und erhöhe die Attraktivität des öffentlichen Verkehrs.

Skepsis ist gross

Die Befürworter der Gentechfrei-Initivative sind erfreut über den Ausgang des Urnengangs. Der Konsumentenschutz deutet das Ja als klares Signal für den Wunsch nach Wahlfreiheit bei den Produkten, der Bauernverband als Vertrauensbeweis für die Schweizer Landwirtschaft.

Das Ja sei Beweis für die politische Kraft der Allianz zwischen Bauern-, Konsumenten- und Umweltorganisationen, schreiben die Initianten. Die Behörden müssten nun dem Volkswillen Rechnung tragen und die Agrar- und Handelspolitik auf Gentechfreiheit ausrichten.

Das Resultat zeige, dass die Konsumentinnen und Konsumenten gentechfreie Produkte wünschten, sagte Jacqueline Bachmann, Geschäftsführerin der Stiftung für Konsumentenschutz. Die Skepsis gegenüber der Gentechnik sei offensichtlich gross.

"Eigentor der Landwirtschaft"

In den nächsten fünf Jahren gehe es nun darum, das Moratorium zu nutzen, um die Schweizer Landwirtschaft als gentechfreie Landwirtschaft zu positionieren. Der Schweizerische Bauernverband (SBV) wünscht sich in den nächsten fünf Jahren vermehrte Risikoforschung.

Im Abstimmungskampf waren sowohl bei den Bauern als auch bei den Forschern die Meinungen geteilt. Bei den Gegnern der Initiative machte sich am Sonntag Enttäuschung breit. Es handle sich um ein Eigentor der Landwirtschaft, sagte Nobelpreisträger Werner Arber vom Komitee jener Forscher, die gegen die Initiative gekämpft hatten.

Die Forscher würden nun abwandern, und die Schweiz isoliere sich in Europa noch mehr, sagte Arber. Er hoffe, dass die Bevölkerung in den kommenden fünf Jahren einsichtig werde.

Moratorium tritt umgehend in Kraft

Für Arber ist die Gentechnik die Zukunft. Es gehe darum, den Nährstoffgehalt der Pflanzen zu erhöhen. So könne der Umweg über die Nutztiere vermieden werden, was insbesondere für die Länder des Südens wichtig sei.

Das Moratorium für die Aussaat gentechnisch veränderter Pflanzen tritt unmittelbar in Kraft. Eine Ausführungs-Gesetzgebung braucht es nicht. In den nächsten fünf Jahren wird jedes Freisetzungsgesuch abgelehnt.

Der Verfassungsartikel steht über dem Gentechnikgesetz von 2004, das unter strengen Auflagen und nach einem langwierigen Prüfverfahren den Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen (GVO) erlaubt. Allerdings sind derzeit keine Gesuche hängig und auch nicht in Aussicht.

Der neue Verfassungstext untersagt aber den Import von GVO- Lebensmitteln und GVO-Futtermitteln nicht. Die Einfuhr ist gemäss Gentechnikgesetz nach Zulassung möglich und deklarationspflichtig. Die Möglichkeit, Gen-Food zu importieren, wird allerdings nur wenig genutzt.

Die Forschung ist vom Moratorium nicht direkt betroffen. Allerdings befürchten die Gegner des Moratoriums, dass die Wirtschaft jetzt im Agrarsektor nicht mehr in Gentechnologie investiert und Forscherinnen und Forscher im Ausland ihr Auskommen suchen werden.

Moratorium: in der EU unmöglich

Ein generelles Gentech-Moratorium wäre in der Europäischen Union ein Verstoss gegen die Wettbewerbsregeln. Dennoch gibt es in Europa immer mehr gentechfreie Zonen und keine neuen für den Anbau zugelassenen Produkte.

Im EU-Sortenkatalog finden sich mehrere gentechnisch veränderte Raps- und Maissorten. Doch seit Ende 90er-Jahre wurde kein weiteres Produkt mehr bewilligt. Nach einem mehrjährigen de-facto-Moratorium werden in Brüssel zwar wieder neue gentechnisch veränderte Organismen (GVO) zugelassen, allerdings bisher nur für Import und Verkauf.

Namhafter Anbau nur in Spanien

Vielerorts sind die Konsumenten gentechkritisch. Angebaut werden gemäss der Biotech-Organisation ISAA einzig in Spanien auf nennenswerter Fläche GVO, 58'000 Hektar Mais. Ziel vieler Regionen und auch Staaten ist es, Gentechnik von den Feldern zu verbannen.

swissinfo und Agenturen

In Kürze

Erste Vorlage:
Volksinitiative "für Lebensmittel aus gentechnikfreier Landwirtschaft".
In der Schweizer Landwirtschaft dürfen keine Pflanzen angebaut und keine Tiere gehalten werden, die gentechnisch verändert sind. Das Verbot gilt fünf Jahre lang.

Zweite Vorlage:
Änderung des Arbeitsgesetzes.
Geschäften in grösseren Bahnhöfen und in Flughäfen wird erlaubt, unabhängig von ihrem Warenangebot auch am Sonntag Personal zu beschäftigen.

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Fakten

Ja zum Gentech-Moratorium: 55,7%
Ja zur Änderung des Arbeitsgesetzes: 50,6%
Stimmbeteiligung: 42%

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