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Die Behinderten sind Arbeitskräfte

Arbeit, die von Behinderten gemacht wird: das Vorbereiten von Essensutensilien für Fluggesellschaften. Keystone

Die 5. Revision der Invalidenversicherung hat sich zum Ziel gesetzt, mit einer besseren Wiedereingliederung von Behinderten in den Arbeitsmarkt die Kosten für die Gesellschaft zu senken.

Dieser Inhalt wurde am 29. Mai 2007 publiziert Minuten

Eine Wiedereingliederung ist jedoch nicht einfach; deshalb stellen die Behörden ein Programm vor, das Schwierigkeiten überwinden hilft.

Die Invalidenversicherung schreibt rote Zahlen. Um die Situation nicht noch zu verschlimmern, hat sich das Parlament für eine Reform in zwei Etappen entschieden.

In einem ersten Schritt wurde die 5. Revision des Bundesgesetzes über die Invalidenversicherung verabschiedet, über die nun das Volk am 17. Juni abstimmen wird. Im Falle einer Annahme entscheidet das Parlament, ob der IV neue finanzielle Mittel zukommen sollen.

Die Gesetzesrevision hat zum Ziel, die Kosten der IV zu senken. Ein Lösungsansatz besteht darin, die Anstrengungen für eine Wiedereingliederung der Behinderten in den Arbeitsmarkt zu verstärken.

Die Arbeitssituation ist "gut"

Die Behinderten haben nicht erst auf die Gesetzesrevision gewartet, um im Arbeitsmarkt präsent zu sein; bereits heute gibt es unter ihnen eine stattliche Anzahl, die in Unternehmungen oder in der Verwaltung arbeitet.

Es ist dennoch sehr schwierig, eine Statistik über die aktuelle Situation der Behinderten auf dem Arbeitsmarkt zu erhalten: „Es gibt keine Bestandesaufnahme, weil es "den Behinderten" nicht gibt, denn die Behinderungen sind sehr unterschiedlich", erklärt Yves Rossier, Direktor des Bundesamtes für Sozialversicherungen (BSV).

Trotzdem sind sich die Gesprächspartner von swissinfo darüber einig, dass die Situation der Behinderten im internationalen Vergleich als "gut" bezeichnet werden kann. Ihre Einschätzung beruht dabei auf publizierten Daten der OECD.

In der kürzlich erschienen OECD-Studie "Gesellschaft auf einen Blick" steht die Schweiz an erster Stelle, was die Wiedereingliederung der Behinderten in den Arbeitsmarkt angeht. Der Anteil an Anstellungen von behinderten Personen im Alter zwischen 20 und 64 Jahren ist leicht über 60%.

Behinderte sind willkommen

Die Arbeitgeber sind heute nicht verpflichtet, Behinderte anzustellen und auch die Revision wird daran nichts ändern. Die Gegner der Revision bemängeln diese Tatsache. In ihren Augen gibt es ohne Verpflichtung auch keinen Fortschritt im Bereich der Wiedereingliederung.

Pierre Triponez teilt diese Meinung nicht. Für den Direktor des Schweizerischen Gewerbeverbandes (SGV) ist es im Interesse der Wirtschaft, die Behinderten einzugliedern. "Man darf nicht vergessen, dass die Kosten, die die Behinderten verursachen, auf die Gesellschaft im Allgemeinen und auf die Arbeitgeber im Speziellen zurückfallen", unterstreicht er.

Zudem altert die Schweizer Bevölkerung immer mehr. Es wäre also für die Wirtschaft unvernünftig, auf Arbeitskräfte zu verzichten, zumal viele Behinderte über Kompetenzen verfügen.

"Allzu oft neigt man dazu, eine Behinderung mit Unfähigkeit gleichzusetzen, was absolut falsch ist", betont Christine Théodoloz, Generalsekretärin der Stiftung "Integration für alle", die von Arbeitgeberkreisen gegründet wurde und deren Ziel die Wiedereingliederung der Behinderten in den Arbeitsmarkt ist.

Eine neue Initiative

Die Arbeitgeber scheinen guten Willens, behinderte Menschen einzustellen. "Sie sind bereit dazu, doch sie wollen nicht zu viele Risiken eingehen", gibt Pierre Triponez zu.

Diese Risiken lassen sich in zwei Gruppen einteilen. Einerseits wissen die Arbeitgeber nicht, wie sich die Belastbarkeit der angestellten Personen entwickelt. Andererseits riskieren sie eine Erhöhung der Risikobeiträge bei der beruflichen Vorsorge und höhere Prämien bei der Taggeldversicherung.

Das BSV hat Anfang Mai ein Projekt zur Wiedereingliederung vorgestellt. Die "Job-Passerelle" ermöglicht die probeweise Einstellung einer behinderten Person während ein bis zwei Jahren; das Ziel ist die Festanstellung, sofern sich die Eingliederung für beide Seiten als machbar erwiesen hat.

Um behinderte Angestellte zu finden, wenden sich die Unternehmen an die "Job-Passerelle", einem Personalvermittlungs-Netz, "das ein wenig wie Manpower funktioniert", erklärt Christine Théodoloz. Geleitet wird dieses Netz von den Stiftungen "Integration für alle" und "Profil"; sie begleiten und coachen die angestellten Behinderten und sorgen für eine bestmögliche Betreuung.

Die Invalidenversicherung ihrerseits deckt teilweise die behinderungsbedingten Mehrkosten des Arbeitgebers.

Propagandainstrument?

AGILE (Behinderten Selbsthilfe Schweiz) kämpft für eine Ablehnung der 5. Revision, weil sie in diesem Projekt lediglich ein "Propagandainstrument" sieht.

"Die Praxis muss erst zeigen, ob dieses Projekt funktioniert", schreibt AGILE. "Wenn es sich als unwirksam erweist, haben die Befürworter zumindest etwas erreicht: sie konnten für ein JA zur 5. Revision der IV während des Wahlkampfes werben."

Yves Rossier dementiert jegliche propagandistische Absicht. Er anerkennt jedoch, dass das BSV der Umsetzung der 5. Revision der IV vorgreift. Nichtsdestotrotz kann ein solches Projekt nur mit den Hilfsmitteln, die in der 5. Revision enthalten sind, realisiert werden

swissinfo, Olivier Pauchard
(Übertragung aus dem Französischen: Christine Fuhrer)

In Kürze

Die Initiative zur "Job-Passerelle" geht auf den rechtsfreisinnigen Nationalrat Otto Ineichen zurück. Jede Wiedereingliederung eines behinderten Menschen in den Arbeitsmarkt ergibt laut Ineichen jährlich eine Einsparung von 40'000 bis 200'000 Franken.

Mehr als 400 Unternehmen habe ihre Beteiligung an diesem Projekt angekündigt.

Wenn die 5. Revision am 17. Juni vom Volk angenommen wird, könnte das Projekt am 1. Juli starten.

Die Behörden gehen davon aus, dass im ersten Jahr mittels der "Job-Passerelle" für 1000 Behinderte eine Anstellung gefunden werden kann. Ab dem Jahr 2009 sollte diese Zahl auf 2000 bis 3000 Personen steigen.

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