Den Gipfel um jeden Preis
Seit der Öffnung Europas kommen vermehrt Osteuropäer zum Bergsteigen in die Schweiz. Häufig setzen sie sich zu grossen Risiken aus.
Am vergangenen Wochenende ist einmal mehr ein Alpinist aus einem osteuropäischen Land in den Schweizer Bergen tödlich verunglückt: Ein 22-jähriger Slowake stürzte an der Ostwand des Matterhorns rund 800 Meter in die Tiefe - bei miserablen Wetterbedingungen. Bis heute konnte der Mann nicht geborgen werden.
Bedeutend mehr Bergunfälle
Die Zahl der Bergunfälle hat im letzten Jahr sprunghaft zugenommen. 2001 verunglückten in den Schweizer Bergen 133 Menschen tödlich, 43% mehr als im Vorjahr. 60 von ihnen waren Ausländer.
Damit hat sich der Ausländer-Anteil gegenüber dem Jahr 2000 fast verdoppelt. Bergführern fällt auf, dass Besucherinnen und Besucher aus Osteuropa besonders hohe Risiken eingehen.
Zu wenig Geld
"Alpinisten aus Polen, der Slowakei und der Tschechischen Republik riskieren ihr Leben, indem sie Berge besteigen, ohne sich korrekt auf die Tour vorzubereiten", sagt Hans Jaggi vom Schweizer Alpen Club.
Ein Problem seien die fehlenden finanziellen Mittel. "Die Leute versuchen, Geld zu sparen, indem sie draussen vor den Berghütten übernachten. Zudem ignorieren sie die Warnung Einheimischer vor kritischen Wetterbedingungen - besonders im Sommer."
Laut Toni Fuchs, dem Direktor des Schweizerischen Bergführerverbands, ist vielen Leuten auch der Tagesansatz von 400 bis 450 Franken für einen Bergführer zu hoch. "Die Sicherheit ist ihnen nicht so viel Geld wert."
Gefahr der Übermüdung
Marc Ziegler vom Bergsteigerzentrum Grindelwald hat ebenfalls beobachtet, dass sich Gäste aus den ehemaligen Ostblockstaaten in besonderem Masse gefährden.
Diese Leute machen laut Ziegler "Low-Budget-Ferien". Aus Spargründen nähmen die Gipfelstürmer nicht die Bahn aufs Jungfraujoch, den eigentlichen Ausgangspunkt einer Tour. Stattdessen würden sie lange Aufstiegsvarianten in Kauf nehmen.
Auf der klassischen Route via "Mittellegi-Hütte" auf den Eiger komme es dadurch öfters zu Übermüdungen, welche Rettungen nötig machen. "Immer wieder benötigen Leute für eine Tour von normalerweise 7 bis 8 Stunden die doppelte Zeit."
Kein Ausweichen eingeplant
Ziegler fällt generell auf, dass Feriengäste im beschränkten Zeitraum, den ihnen ihre Ferien bieten, eine geplante Tour unbedingt durchziehen wollen. "Auch wenn das Wetter nicht stimmt."
Bedenklich sei im weiteren die schlechte Ausrüstung, erzählt Marc Ziegler. Auch fehle häufig eine gute Tourenplanung und eine realistische Einschätzung der eigenen Fähigkeiten als Alpinist.
Dies bestätigt auch Toni Fuchs vom Schweizer Bergführerverband. "Die Leute kommen oft nur für einen oder zwei Tage. Früher nahmen sie sich viel mehr Zeit, planten mindestens eine Woche, sie haben erst trainiert, sich akklimatisiert und sind dann aufgestiegen."
Fixe Idee
Wer in die Schweiz kommt, um das legendäre Matterhorn zu besteigen, ist kaum davon abzubringen. Laut Jacky Michelet, dem Direktor der Kantonalen Walliser Rettungsorganisation, wird das Bezwingen des Gipfels zur fixen Idee.
"Viele ausländische Gäste befinden sich in einem anderen geistigen Zustand. Sie sind in den Ferien", so Jacky Michelet. Das Matterhorn sei für sie nichts anderes als ein Mythos - den sie um jeden Preis erleben wollen.
swissinfo

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