Bundesrat wiederholt Entschuldigung von 1995
Die Schweiz hat im Zweiten Weltkrieg ihrer humanitären Tradition nicht in dem Mass entsprochen, wie sie das hätte tun müssen. Dies erklärten Bundespräsidentin Dreifuss (r.) und Aussenminister Deiss (l.) im Namen der Regierung zum Bergier-Bericht.
Die Schweiz hat im Zweiten Weltkrieg ihrer humanitären Tradition nicht in dem Mass entsprochen, wie sie das hätte tun müssen. Dies erklärten Bundespräsidentin Dreifuss (r.) und Aussenminister Deiss (l.) im Namen der Regierung zum Bergier-Bericht und wiederholten die Entschuldigung des Bundesrates von 1995.
Aus Sicht des Bundesrats hat die Expertenkommission in ihrem Bericht über die Flüchtlingspolitik der Schweiz dem internationalen Umfeld zu wenig Rechnung getragen. Die vom Bericht gewählte Betrachtungsweise führe überdies dazu, dass unleugbare historische Gegebenheiten in den Hintergrund gedrängt würden, wie es in der am Freitag veröffentlichten und von Bundespräsidentin Ruth Dreifuss verlesenen Erklärung heisst.
Der Bericht der Expertenkommission stelle einen grundlegenden Beitrag zum besseren Verständnis der schweizerischen Flüchtlingspolitik zur Zeit des Nationalsozialismus dar, heisst es in der Erklärung, verbunden mit dem Dank an die Kommission. "Eine überwiegende Mehrheit der Schweizer Bevölkerung lehnte die Rassenideologie der Nazis ab", hält der Bundesrat anschliessend fest. Trotz äusserst schwieriger Lage sei es dem Land gelungen, ein Hort der Freiheit und Demokratie zu bleiben. Eine bedeutende Zahl an zivilen und militärischen Flüchtlingen sei in der Schweiz aufgenommen worden.
Der Bericht erinnere daran, dass die Schweiz in dieser Epoche nicht ihrer humanitären Tradition in dem Masse entsprochen habe, wie sie dies hätte tun können und tun müssen. Der Bundesrat sei sich dessen bewusst und lege Wert darauf, an die 1995 vom Bundespräsidenten ausgesprochene Entschuldigung zu erinnern. "Diese Entschuldigung behält im Licht des vorliegenden Berichtes ihre volle Berechtigung", heisst es. Die Folgen damals getroffener Entscheide seien durch nichts wieder gut zu machen. Die damalige Asylpolitik sei auch von Fehlern, Unterlassungen und Zugeständnissen geprägt gewesen.
Kollektives Versagen der Flüchtlingspolitik
Die Kommission habe sich für die kritische Betrachtung der Rolle der Behörden und der Verwaltung in der Flüchtlingsfrage entschieden und die Opfer des Nationalsozialismus in den Mittelpunkt ihrer Nachforschungen gestellt. Der Bundesrat sei sich bewusst, dass keine noch so umfassende historische Forschung ein vollständiges Bild der Realität wiedergeben könne.
"Dennoch hätte er es angesichts eines so umfangreichen Berichts als wünschenswert erachtet, wenn bei der Würdigung der schweizerischen Politik dem internationalen Umfeld stärker Rechnung getragen worden wäre." Kennzeichnend für die Flüchtlingspolitik zur Zeit des Nationalsozialismus sei denn auch das kollektive Versagen der Asylpolitik der damaligen Staaten. Diese hätten unter Missachtung humanitärer und ethischer Grundsätze zugelassen, dass Hunderttausende von Personen schutzlos der Nazibarbarei ausgeliefert worden seien.
Die vom Bericht gewählte Betrachtungsweise führe überdies dazu, dass unleugbare historische Gegebenheiten in den Hintergrund gedrängt würden, so etwa die Ängste auf Grund der Bedrohung, die Ungewissenheit hinsichtlich der Zukunft und die Notwendigkeit, den Wirtschaftsaustausch aufrecht zu erhalten, um das Überleben des Landes zu sichern. Man wisse jedoch, dass die Situation und die Ängste die Schweiz dazu bewogen hätten, Konzessionen einzugehen. Die Studie von Walter Kälin bestätige, dass die Behörden im wesentlichen in Übereinstimmung mit dem während des Krieges geltenden Vollmachtenregime sowie den Normen des Völkerrechts gehandelt habe, die damals den weltweiten Standard gebildet hätten.
Mehr tun für Menschenrechte und Rassismusprävention
Die internationale Staatengemeinschaft hat nach Auffassung des Bundesrates die Lehren aus den erheblichen Lücken des damaligen Völkerrechts gezogen und die Rechtsstellung der Flüchtlinge verbessert. Die Schweiz habe sich der Entwicklung angeschlossen und sie verfüge über eine moderne Strafnorm, die jegliche Form von Rassendiskriminierung ahnde. Der durch den Bericht ausgelöste Bewusstwerdungsprozess dürfe nicht dazu verleiten, die Verantwortlichen von damals auf der Basis heutiger Empfindungen zu verurteilen. „Wir sind keine Richter über unsere Vorgänger", sagte Dreifuss. Er müsse den Blick in die Zukunft lenken, damit Fehler der Vergangenheit niemals wiederholt würden. Für den Bundesrat sei dies Anlass, das Engagement der Schweiz im Dienste der Menschenrechte zu bekräftigen.
Er beabsichtige, seine Unterstützungsmassnahmen zur Sensibilisierung in den Bereichen Menschenrechte und Prävention von Rassismus zu verstärken. Er werde die Modalitäten dieser Unterstützungsmassnahmen in den kommenden Monaten in Zusammenarbeit mit den Kantonen und den interessierten Organisationen konkretisieren.
„So falsch es wäre, im Rahmen dieser historischen Aufarbeitung nur die positiven Aspekte der damaligen Ergebnisse hervorzuheben, so verfehlt wäre es, nur die negativen Punkte zu betonen", heisst es. Das Verhalten der offiziellen Schweiz während dieses schwierigen Kapitels ihrer Geschichte sei vielmehr im ständigen Bestreben nach Objektivität zu prüfen, im Lichte des vorliegenden Berichts sowie der zahlreichen vorangegangenen Forschungsarbeiten. „Der Bundesrat ermutigt die Historiker, auf diesem Weg fortzufahren, und hofft, dass sich die Mitbürgerinnen und Mitbürger eingehend mit unserer Geschichte auseinandersetzen werden", hiess es.
SRI und Agenturen

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