Alles begann in Rajasthan
Mit 50 Jahren hat Ruth Miller ihr Leben neu ausgerichtet. Aus Stans in der Innerschweiz zog sie zu ihrem Mann nach Eningen am Rande der Schwäbischen Alb.
Begonnen hatte alles mit einer Ferienreise in den indischen Gliedstaat Rajasthan.
Ruth Miller war mit ihrer Freundin nach Indien gereist. Zu der gemischten Reisegruppe gehörte auch Wolfgang Miller. Die beiden kamen sich näher und einige Jahre darauf zog sie zu ihm nach Deutschland, wo er eine Stelle als Elektroingenieur hatte.
Ein mutiger Schritt. Im Alter von 50 Jahren ist es nicht selbstverständlich, das persönliche Umfeld noch einmal ganz neu aufzubauen. "Es war nicht nur einfach", sagt sie im Gespräch mit swissinfo rückblickend auf die ersten Jahre in Eningen denn auch.
Eigentlich lockte Italien
Und erzählt eine Episode vom Tag ihres Umzugs. Die meisten ihrer Besitztümer waren schon nach Deutschland transportiert worden. Eine Freundin fuhr sie schliesslich nordwärts. Sie sei im Auto gesessen und sehr ruhig gewesen.
"Meine Freundin fragte mich, was los sei, ob ich es mir anders überlegt, plötzlich Zweifel hätte. Der einzige Gedanke, den ich hatte, war: Eigentlich wäre ich lieber nach Italien gezogen." Doch es blieb bei dem Gedanken, die Reise ging nach Eningen, wo sie noch heute lebt.
Sie sei vom Freundeskreis ihres Mannes rasch aufgenommen und in ihre neue Umgebung eingeführt worden. Im Alter, in dem sie damals war, sei es aber nicht nur einfach, sich einen neuen Freundeskreis aufzubauen.
Dieser Aspekt des Auswanderns sei in jüngeren Jahren sicher anders. "Wenn man zum Beispiel Kinder hat, schlägt man an einem neuen Ort wohl rascher Wurzeln, als das bei mir der Fall war."
"Meine Wurzeln sind bis heute klar in der Schweiz", sagt Ruth Miller, die in Luzern bei den Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) gearbeitet hatte. Ihre engsten Freundschaften seien bis heute jene in der Innerschweiz.
Vor gut einem Jahr ging ihr Mann in Rente. Seither geniesst das Paar das von geschäftlichen Terminen befreite Leben. Dazu gehört das Pendeln zwischen Deutschland und der Schweiz.
Finanzielle Gründe
In Stans haben sie im Elternhaus von Ruth Miller eine Wohnung, die jederzeit bereit steht. Und von Eningen nach Stans sind es mit dem Auto nicht mehr als drei, vier Stunden.
"Wir planten eigentlich, nach dem Rückzug meines Mannes aus dem Arbeitsleben unsern Wohnsitz in die Schweiz zu verlegen." Das daraus nichts wurde, hat auch finanzielle Gründe.
Vor allem Fragen der Kranken- und Pflegeversicherungen spielten für den Entscheid eine Rolle. Auch werden die Renten in Deutschland zu einem tieferen Ansatz versteuert als in der Schweiz.
Und immer lockt Stans
Das Ehepaar hatte sich lange und im Detail mit all diesen Fragen befasst. Ganz aufgegeben haben die zwei die Idee vom Leben in der Schweiz aber nicht.
"Wer weiss, vielleicht kommt es doch noch einmal so weit", sagen beide. Dass die Idee nicht ganz vom Tisch und die Schweiz sehr präsent ist, zeigt sich im Verlauf des Gespräches immer wieder. Die Bande zur Schweiz sind eng. Das Schweizer Fernsehen und Radio gehören zum Alltag.
In Eningen, einer 10'000-Seelen-Gemeinde ausserhalb von Reutlingen, besitzen Millers eine Doppelhaushälfte in einer der älteren Strassen des Dorfes. Zum Haus gehört ein einladender Garten.
"Vor allem an heissen Sommertagen geniessen wir es, im Schatten sitzen zu können, auch wenn der Garten ziemlich arbeitsintensiv ist", sagt Ruth Miller, die heute 69 Jahre alt ist.
Neben dem Garten lockt die Umgebung zu Ausflügen und Wandern, Eningen liegt in der Schwäbischen Alb. "Wir können direkt aus dem Haus zum Wandern aufbrechen, ich schätze das sehr."
Aktive Auslandschweizerin
Wenn die Gebrechen des Alters einmal deutlicher würden, könnte das Haus zum Problem werden. So könnte das Treppensteigen im dreistöckigen Haus mühsam werden.
"Dann überlegen wir uns vielleicht erneut, ob wir nicht doch in die Schweiz umziehen könnten", sagt Wolfgang Miller. Und die Augen seiner Frau leuchten auf.
Dass die Schweiz in ihrem Leben weiterhin grossen Raum einnimmt, zeigt sich auch darin, dass sie ihr Recht als Auslandschweizerin wahrnimmt und an Abstimmungen und Wahlen mitmacht. Dasselbe gilt für ihren Ehemann, der unterdessen auch den Schweizer Pass hat.
Die Schweiz durch die rosa Brille
Ein bisschen mehr Offenheit, sagt Ruth Miller, würde der Schweiz nicht schaden. Harte Kritik will sie nicht äussern, verherrlichen will sie das Land aber nicht, auch nicht im Rahmen des lokalen Schweizer Vereins, in dem sie im Vorstand engagiert ist.
Die Schweiz inmitten Europas als Nicht-Mitglied der EU sei zwar etwas ein Fremdkörper. Ob sich das in den nächsten Jahren ändern könnte, darüber will sie nicht spekulieren. Sie liebt ihre Heimat wie sie ist.
"Ich sehe die Schweiz etwas durch eine rosa Brille, das stimmt." Dem kann ihr Mann mit einem liebevollen Blick nur zustimmen.
swissinfo, Rita Emch, Eningen
Fakten
In Deutschland lebten 2004 rund 70'455 Schweizerinnen und Schweizer.
60% sind Doppelbürger.
Rund 24% sind unter 18 Jahre alt, rund 14% über 65.
25% der 53'445 stimm- und wahlberechtigten Schweizer Staatsangehörigen in Deutschland sind registriert.
In Kürze
Ruth Miller wurde 1936 geboren. Aufgewachsen ist sie in Stans (Nidwalden).
Sie machte eine kaufmännische Ausbildung und arbeitete zuletzt bei den Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) in Luzern.
Vor rund 18 Jahren lernte sie in Indien ihren heutigen Mann kennen. Kurze Zeit später folgte der Umzug nach Deutschland.
Seit gut einem Jahr geniesst das Ehepaar den Ruhestand. Wolfgang und Ruth Miller leben in Eningen (bei Tübingen).

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