Abstimmungen: Volk unterstützt Regierungspolitik
Sämtliche sieben Volksinitiativen scheitern deutlich, der Ausstieg aus der Atomenergie findet nicht statt. Armee und Bevölkerungsschutz werden wie geplant verkleinert.
Damit erhält die Linke gleich mehrere schallende Ohrfeigen, Regierung und bürgerliche Mehrheit obsiegen.
Noch liegen die definitiven Resultate nicht vor, doch alle Volksabstimmungen sind deutlich gescheitert.
Die im Auftrag der SRG SSR idée suisse durchgeführten Hochrechnungen kommen zu klaren Resultaten: Weder dem schnellen noch dem langsamen Ausstieg aus der Kernenergie stimmten die Schweizerinnen und Schweizer zu.
Für "Strom ohne Atom" sagen die Fachleute eine Ablehnung von über 65% Nein voraus, beim "MoratoriumPlus" beträgt der Anteil der Nein-Stimmen 60%. Damit ist die Stimmung heute weniger atomkritisch als noch 1990, damals wurde ein ähnliches Moratorium noch mit 54% Ja-Anteil angenommen. Heute fand das Volksbegehren einzig im Kanton Baselland eine Mehrheit.
Deutlich abgelehnt werden auch die Gesundheits-Initiative (74% Nein) und die Mieter-Initiative (70% Nein).
Bei der Behinderten-Initiative (64% Nein) zeichnen sich regionale Unterschiede ab: In den lateinischen Kantonen Jura, Genf und Tessin haben die Volksbegehren eine Mehrheit gefunden, schweizweit allerdings reichte es nicht.
Die "Lehrstellen-Initiative" und die "Sonntags-Initiative" wurden nicht hochgerechnet. Umfragen und Fachleute gaben diesen beiden Volksbegehren bereits im Vorfeld wenig Chancen.
Anders sieht es aus für die Armee XXI und das Bevölkerungs- und Zivilschutzgesetz. Hier wurde allgemein von einer Annahme der beiden Vorlagen ausgegangen, das bestätigt sich nun.
Einfache Parolen
Die Mehrheit des Parlaments hatte sich, zusammen mit der Regierung, eindeutig gegen alle Vorlagen ausgesprochen. Will heissen: 2 Mal Ja (Armee XXI und Bevölkerungsschutz) und 7 Mal Nein (alle Initiativen).
Auch die bürgerlichen Regierungsparteien hatten dieselbe Parole gefasst: Die Freisinnig-Demokratische Partei (FDP), die Schweizerische Volkspartei (SVP) und die Christlichdemokratische Volkspartei (CVP).
Anders die vierte Regierungspartei, die Sozialdemokratische Partei (SPS): Sie war für Stimmenthaltung bei der Armee XXI und für ein Ja bei allen anderen Vorlagen. Gleiche Parolen hatten auch die Grünen, fünftgrösste Partei im Parlament, beschlossen.
Die Schweizer Medien schienen dem Ansturm der Vorlagen gerecht zu werden. Alle Themen wurden behandelt, wobei der Atomstrom und die Gesundheits-Initiative am meisten Platz erhielten, gefolgt von der Behinderten-Initiative.
Rekordabstimmung
Neun Vorlagen - das hat es erst einmal in der Geschichte der Schweizerischen Eidgenossenschaft gegeben: 1866, bei der zweiten Volksabstimmung überhaupt.
Am damaligen 14. Januar waren folgende Themen an die Urne gekommen: Festsetzung von Mass und Gewicht, Gleichstellung der Juden und Naturalisierten mit Bezug auf Niederlassung, Stimmrecht der Niedergelassenen in Gemeindeangelegenheiten, Besteuerung und zivilrechtliche Verhältnisse der Niedergelassenen, Stimmrecht der Niedergelassenen in kantonalen Angelegenheiten, Glaubens- und Kultusfreiheit, Ausschliessung einzelner Straftaten, Schutz des geistigen Eigentums, Verbot der Lotterie und Hasardspiele.
Einzig die Gleichstellung der Juden und Naturalisierten schaffte eine Mehrheit. Doch damals wurde noch nicht so ausführlich informiert. Heute umfassen die Erläuterungen des Bundesrates, das so genannte Abstimmungsbüchlein, ganze 96 Seiten.
swissinfo, Christian Raaflaub und Eva Herrmann
In Kürze
1. "Änderung des Bundesgesetzes über die Armee und die Militärverwaltung (Armee XXI)":
Weil sich die sicherheitspolitische Lage seit dem Ende des Kalten Krieges stark verändert hat, soll die Armee zeitgemäss organisiert werden. Sie soll um rund ein Drittel verkleinert, ihr Aufbau vereinfacht werden.
2. "Bundesgesetz über den Bevölkerungsschutz und den Zivilschutz":
Der Zivilschutz soll hauptsächlich auf Katastrophen, Notlagen und die Folgen von Terror ausgerichtet werden. Er soll kleiner und effizienter werden, die Zusammenarbeit mit Partner-Organisationen soll verbessert werden.
3. Initiative "Ja zu fairen Mieten":
Hypothekarzins-Senkungen sollen automatisch an die Mieter weitergegeben werden. Ausserdem soll der Kündigungsschutz ausgebaut werden.
4. Initiative "für einen autofreien Sonntag pro Jahreszeit - ein Versuch für vier Jahre (Sonntagsinitiative)":
An einem Sonntag pro Jahreszeit sollen alle öffentlichen Plätze und Strassen der Bevölkerung zur freien Benutzung offen stehen - ohne privaten Motorfahrzeugverkehr. Die Regelung würde vorerst für vier Jahre gelten.
5. Initiative "Gesundheit muss bezahlbar bleiben (Gesundheitsinitiative)":
Neben der Abschaffung der Kopfprämien sollen die Gesundheitskosten stabilisiert werden. Der Bund soll mehr Kompetenzen zur Kontrolle der Gesundheitskosten erhalten.
6. Initiative "Gleiche Rechte für Behinderte":
Menschen mit Behinderungen sollen Nicht-Behinderten gleichgestellt werden. Sie sollen Zugang zu Bauten, Anlagen, Einrichtungen und Leistungen haben, soweit diese für die Öffentlichkeit bestimmt sind und soweit dies wirtschaftlich zumutbar ist.
7. Initiative "Strom ohne Atom":
Alle Schweizer Kernkraftwerke sollen schrittweise stillgelegt werden. Diejenigen in Gösgen und Leibstadt spätestens nach 30 Betriebsjahren, die in Beznau und Mühleberg in den nächsten zwei Jahren. Die Wiederaufbereitung abgebrannter Brennelemente soll verboten werden.
8. Initiative "MoratoriumPlus":
Sie erlaubt für die bestehenden Kernkraftwerke eine Betriebsdauer von 40 Jahren. Der Betrieb kann danach um jeweils zehn Jahre verlängert werden, aber nur wenn das Parlament und (bei einem Referendum) das Volk zustimmen.
9. Initiative "für ein ausreichendes Berufsbildungsangebot (Lehrstelleninitiative)":
Das Recht auf eine ausreichende berufliche Ausbildung soll in die Bundesverfassung aufgenommen werden. Wenn die Wirtschaft nicht genügend Lehrstellen bereitstellt, sollen Bund und Kantone einspringen und Berufsbildungsmöglichkeiten anbieten.

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